Die Kollaborateure von Katrina Tuvera

Nach „Die Strassenkatzen von Manila“ ist „Die Kollaborateure“ mein zweiter literarischer Stopp auf den Philippinen. Ein ganz anderer literarischer Zugang, aber es bleibt politisch. 

Klappentext

Das 20. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu, und eine ganze Nation verfolgt gespannt das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten des Landes. Unterdessen liegt Carlos Armando auf dem Sterbebett. Während seine Frau und Tochter selbst bei ihren Krankenhausbesuchen nicht aufhören können zu streiten, beginnt er sich zu erinnern – zunächst an seine Kindheit auf dem Land zur Zeit des Krieges, die Unabhängigkeit der Philippinen, an den Aufstieg von Marcos und die Militärdiktatur. Verrat und Anpassung, Auflehnung und Unterordnung bestimmen sein eigenes Leben wie auch das seines besten Freundes, der dafür einen hohen Preis bezahlt.

Meine Meinung

Katrina Tuveras „Die Kollaborateure“ ist ein konzentriert erzählter, nur scheinbar schmaler Roman, der auf weniger als zweihundert Seiten ein eindrucksvolles Panorama philippinischer Geschichte entfaltet. Die Lektüre verlangt Aufmerksamkeit – nicht wegen komplizierter Sprache, sondern weil die Autorin erzählerisch mit Fragmenten, Perspektivwechseln und bewusst unsortierten Erinnerungsfetzen arbeitet. Genau darin liegt jedoch die Stärke des Romans: Er ahmt die Art nach, wie alte Menschen zurückblicken – sprunghaft, selektiv, widersprüchlich.

Über Carlos und Roberta öffnen sich unterschiedliche Zugänge zur Vergangenheit. Während Carlos’ Rückblicke politische Weichenstellungen, Zwangslagen und moralische Grauzonen ausleuchten, setzt Roberta in ihren Erinnerungen andere Schwerpunkte, etwa auf die Rolle der Frauen in einer sich wandelnden Gesellschaft. Ihre heimliche Entscheidung für die Antibabypille, ihre Beobachtungen familiärer und gesellschaftlicher Zwänge – all das erweitert den historischen Rahmen um eine feministische, alltagsnahe Dimension. Je ein eigenes Kapitel der Kinder Jacob und Brynn bindet zudem die nächste Generation ein und zeigt, wie politische Geschichte in Familienbiografien weiterwirkt.

Katrina Tuvera richtet den Blick vor allem auf Kollaboration, Opportunismus und Widerstand – auf die Frage, wie Menschen unter wechselnden Besatzungsmächten und autoritären Regimen handeln, und welchen Preis sie dafür zahlen. Die politischen Entwicklungen der Philippinen seit dem Zweiten Weltkrieg, ergänzt durch Hinweise auf die spanische Kolonialzeit, werden nicht in einer zusammenhängenden Chronik erzählt, sondern erscheinen in kurzen Szenen, die sich nach und nach zu einem Mosaik verdichten. Diese Schnappschüsse vermitteln Atmosphäre und Erkenntnis, ohne je so auszuschweifen, dass man den Roman als Geschichtsbuch lesen würde.

Die Vielzahl an Figuren erfordert jedoch anfänglich Aufmerksamkeit. Emotional bleibt der Roman bewusst auf Distanz – die Charaktere sind präzise gezeichnet, aber nie auf dramatische Identifikation angelegt. Ein Nachwort von Annette Hug bietet abschließend eine klare historische Einordnung und fungiert als wertvolle Orientierung.

Für mich war dieser Roman ein literarisches Tor zu einem mir vorher unbekannten Land. Ich habe wirklich viel über die politische und koloniale Geschichte der Philippinen gelernt – von spanischer Herrschaft über amerikanische und japanische Besatzung bis zu Marcos Militärdiktatur. „Die Kollaborateure“ zeigt, wie eng individuelle Biografien und nationale Geschichte miteinander verflochten sind.

Fazit:

Ein intensives, lehrreiches Buch, das sich hervorragend eignet, um die Philippinen literarisch zu bereisen und ein Gespür für die politischen und gesellschaftlichen Dynamiken dieses Landes zu gewinnen. Und ein Roman, der nachhallt.

Kostenloses Rezensionsexemplar

Ich habe dieses Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Wagenbach Verlag zur Verfügung gestellt bekommen. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Bibliografie

Titel: Die Kollaborateure

Autorin: Katrina Tuvera

Übersetzung: Jan Karsten

Verlag & Copyright: Wagenbach

Seitenzahl: 192

Erscheinungstermin: 14. August 2025

Preis: 22 € (Hardcover)

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