Das Thema dieses Romans hat mich sofort angesprochen: Vier Frauen, die in ganz unterschiedlichen Lebens- und Familiensituationen stecken und sich jede auf ihre eigene Weise mit der K-Frage bzw. Mutterschaft auseinandersetzen (müssen).
Klappentext
Was, wenn Sina nicht schwanger werden kann? Wenn Mona nie Kinder bekommen hätte? Wäre die Welt dadurch ein besserer Ort? Ja, findet Klimaaktivistin Eva Lohaus: Nur ein Geburtenstopp kann unseren Planeten noch retten. Während sie mit den Konsequenzen ihrer radikalen Vision kämpft, hadern die Schwestern Sina und Mona mit ihren eigenen Lebensentwürfen. Aus der Ferne beneiden, aus der Nähe bemitleiden sie sich, gemeinsam versuchen sie, Verantwortung und Erwartungsdruck zu widerstehen. Doch erst die Begegnung mit Monas neuer Nachbarin verändert unseren Blick aufs Muttersein wirklich.
Was spricht heute gegen, was für eigene Kinder? In ihrer präzisen und bestechend schmucklosen Sprache erzählt Verena Kessler von vier Frauen, die ihre ganz eigenen Antworten auf diese Frage finden.
Meine Meinung
Eins gleich vorweg: Ich fand dieses Buch großartig! Und zwar nicht nur, weil es eine wichtige Thematik behandelt, sondern auch, weil es dies durch vier außergewöhnlich lebensechte Figuren tut. Ihre verschiedenen Situationen, ihre Denkweise, ihr Verhalten – all das ist absolut nachvollziehbar und bietet uns Lesenden tiefe Einblicke in vier Lebensalltage, von denen wir selbst vermutlich nur einen kennen.
Dabei dreht sich das Buch nicht nur ums Kinder-Kriegen, also möchte man welche oder nicht und warum. Es regt auch zum Nachdenken darüber an, was für eine Welt wir uns in Zukunft wünschen.
Das Buch startet mit Eva. Sie ist Lehrerin und überzeugt, dass wir aufgrund der Klimakrise keine Kinder mehr in diese Welt setzen sollten. Für diese Ansicht sieht sie sich nicht nur auf Social Media Hass und Hetze gegenüber. Ihre Figur und auch das dahinterstehende Gedankenexperiment fand ich extrem spannend, insbesondere weil ihre ökologische Grundhaltung auch spannende Fragen für die anderen Figuren aufwirft.
Sina hat ebenfalls keine Kinder, im Gegensatz zu Eva aber ungewollt. Mit der Zeit zweifelt sie jedoch daran, ob der Wunsch, Mutter zu werden, wirklich ihr eigener oder womöglich nur der ihres Partners ist. Ihr Charakter bietet eine interessante innere Zerrissenheit, die ich gut nachvollziehen kann. Denn auch die Gesellschaft hat für uns Frauen einen klaren Weg vor Augen: Partner, Heim und Kinder. Ist es also unser ureigener Wunsch nach Mutterschaft oder wurden wir einfach nur so sozialisiert, dass wir ihn empfinden?
Ihre Schwester Mona hat bereits drei Kinder, ohne je wirklich darüber nachgedacht zu haben. Auch sie kommt im gemeinsamen Urlaub mit Sina ins Grübeln, ob sie das alles wirklich so gewollt hat. Mit Mona begeben wir uns auf die klassische Frage zur Lebensmitte, ob wir glücklich und zufrieden sind, unser Leben anders nicht doch besser verlaufen wäre etc.
Die namenlose letzte Protagonistin bringt wohl die heftigste Hintergrundgeschichte mit, denn ihr Kind ist gestorben…
Die Autorin lässt die vier Frauen in verschiedenster Weise aufeinandertreffen und schafft dadurch einen sehr passenden Rahmen für ihre Geschichten.
Verena Kessler ist eine exzellente Beobachterin und bringt den jeweiligen Standpunkt; die verschiedenen Herausforderungen, mit denen ihre vier Protagonistinnen zu kämpfen haben zielsicher auf den Punkt.
Ich habe mir zahlreiche Textstellen markiert, die dies unterstreichen:
Als mir klar wurde, dass es bei uns nicht einfach so klappen würde, fing ich sofort an, all meinen Freundinnen davon zu erzählen, den engen und den weniger engen. (…) Doch schon bald bereute ich diese Offenheit. Ich merkte, dass nicht jede mit unserer Situation umgehen konnte und manche ihre eigenen Ängste auf mich projizierten. Freundinnen, für die der Kinderwunsch schon immer selbstverständlicher gewesen war als für mich, behandelten mich auf einmal so, als wäre mir etwas Fürchterliches zugestoßen. Dass nur wenige die Ambivalenz meiner Gefühle nachvollziehen konnten, kränkte mich, und schon bald hasste ich die Nachfragen, so respektvoll sie auch vorgetragen wurden.
Verena Kessler: Eva, S. 59
Sie hatte bis heute nicht ganz verstanden, warum ihr Artikel auf so viel Ablehnung gestoßen war, warum es unmöglich schien, sachlich über ihren Vorschlag zu diskutieren. Der Gedanke, sich nicht fortzupflanzen, niemanden zu hinterlassen, in dem man zumindest genetisch fortleben konnte, schien für viele unfassbar schmerzhaft zu sein.
Verena Kessler: Eva, S. 93
Man kann einander nicht fremd werden, wenn man ein und dieselbe Kindheit hatte (…).
Verena Kessler: Eva, S. 137
Fazit
Ich möchte dieses Buch gern allen ans Herz legen: Jungen wie alten Leser*innen, Müttern, Vätern und Kinderlosen, ganz gleich ob glücklich oder nicht – denn dieses Buch schafft durch seine verschiedenen empathisch und lebensecht dargestellten Perspektiven Verständnis füreinander. Und wie Verena Kessler ganz treffend schreibt: „Man hat entweder Kinder oder man hat keine. Niemand macht beide Erfahrungen.“ S. 164
Bibliografie

Titel: Eva
Autorin: Verena Kessler
Verlag & Copyright: Hanser Berlin
Seitenzahl: 200
Erscheinungsdatum: 20.03.2023
Preis: 24 € (Hardcover)