Kontur eines Lebens von Jaap Robben

Ich habe Jaap Robben auf einer Lesung kennengelernt und war zunächst irritiert, dass mir ein männlicher Autor im Ich-Stil die Geschichte einer 80jährigen Frau vorträgt. Das ging erstmal überhaupt nicht zusammen. Aber was er dann gelesen hat, ließ mich nicht mehr los…

Klappentext

Die junge Floristin Frieda wächst in den Sechzigerjahren in einem streng katholischen Umfeld auf. Als sie an einem späten Winternachmittag einen zugefrorenen Fluss betritt, weiß sie nicht, dass sich gleich alles für sie verändern wird. Auf dem Eis trifft sie den verheirateten Otto. Sie erleben eine Liebe, die stürmisch beginnt und schicksalhaft endet: Frieda wird schwanger – ein Skandal in der Welt, in der sie sich bewegt. Und so darf sie ihrem heimlichen Kind nie Mutter sein. Jahrzehntelang behält sie die Erinnerungen an diese Episode ihres Lebens für sich. Doch als sie mit über achtzig Jahren in ein Pflegeheim zieht, beginnt sie, sich ihnen zu stellen und sie zu teilen.

Meine Meinung

Auch jetzt noch – zwei Jahre nach der Lektüre, wo ich es endlich schaffe, meine Rezension zu schreiben – bin ich sofort wieder in der Geschichte drin, sobald ich meine Notizen lese. Das Buch hat mich auch damals schon vom ersten Moment an gepackt und wochenlang nicht mehr losgelassen.

Erzählt wird auf zwei Zeitebenen: In der Gegenwart begleiten wir die über achtzigjährige Frieda beim Einzug in ein Pflegeheim und in Rückblicken erfahren wir Stück für Stück von ihrem bewegten Leben: von ihrer heimlichen Liebe zu dem verheirateten Otto in den 1960er-Jahren, der Schwangerschaft, die sie zur Außenseiterin machte, und von den vielen Verlusten, die sie ertragen musste. Einfühlsam beschreibt Jaap Robben, wie all diese Schicksalsschläge ihren Charakter geprägt haben, denn auch – oder vielleicht gerade – weil sie in der Vergangenheit stark sein musste, ist sie in der Gegenwart keine besonders sympathische Protagonistin. Und je mehr man über ihr früheres Leben erfährt, desto mehr fühlt man mit ihr.

Ihr wisst, ich bin kein Fan von Dreiecksgeschichten oder außerehelichen Affären – aber in diesem Fall hat mich das nicht gestört. Vielleicht, weil davon rückblickend erzählt wird; vielleicht aber auch, weil es sich weniger um eine klassische Liebesgeschichte als um eine Lebensgeschichte handelt. Die Beziehung zu Otto war intensiv und tragisch, besonders natürlich der Moment, als Frieda ihr neugeborenes Kind verliert – da hat mich das Buch wirklich tief berührt. Man spürt ihre Trauer, ihre Ohnmacht, aber auch dieses eine Fünkchen restlicher Hoffnung, wodurch sie dieses Erlebnis nie loslassen konnte.

Besonders beeindruckt hat mich, wie glaubhaft ein männlicher Autor aus der Sicht einer alten Frau schreiben kann. Friedas Innenleben, ihre Gedanken, ihre Erinnerungen – das alles fühlt sich so echt an, als würde sie es selbst erzählen.

Sehr gelungen fand ich auch die Schilderungen des Alltags im Pflegeheim: schonungslos realistisch. Robben spart nicht mit Gesellschaftskritik, bspw. wenn es um den Zeitmangel des Personals dort geht. Gleichzeitig beschreibt er mit viel Feingefühl, was es bedeutet, im Alter nicht nur geliebte Menschen zu verlieren, sondern auch die Selbstbestimmtheit, die Kontrolle über den eigenen Körper und Geist, die gewohnte Umgebung und den eigenen Tagesablauf. Der Pfleger in der Geschichte ist dabei eine wohltuende Figur, voller Wärme und Menschlichkeit.

Eine weitere Ebene kommt mit Friedas Sohn ins Spiel, mit dem ich mich recht gut identifizieren konnte: Wie schwer und anstrengend es sein muss, seine Mutter so zu sehen und vor allem auch ihren Haushalt und damit ihre Vergangenheit aufzulösen. Davor graut es mir immer.

Fazit:

Ein stilles, berührendes Buch mit einer starken Protagonistin, das tief unter die Haut geht. „Kontur eines Lebens“ erzählt die Geschichte einer Frau, die schon in jungen Jahren alles verloren hat – und dennoch überlebt. Für mich ein echtes Herzensbuch, das ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen habe. Sehr empfehlenswert, auch für einen Lesekreis.

Kostenloses Rezensionsexemplar

Ich habe dieses Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Dumont-Verlag zur Verfügung gestellt bekommen. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Bibliografie