Trophäe von Gaea Schoeters

Dieses Buch habe ich beim diesjährigen eat.read.sleep Bingo entdeckt. Als dann noch die Autorin auf der LBM erläutert hat, wie sie auf das Thema kam, musste ich es einfach lesen. Denn Gaea Schoeters hat anscheinend auf Social Media eine Anzeige für die Jagdlizenz eines Spitzmaulnashorn gesehen, in der stand, dass der Erlös für den Artenschutz für die vom Aussterben bedrohte Tierart eingesetzt wird. Und das fand sie so verrückt, dass sie daraus einen ebenso fesselnden wie verstörenden Roman geschrieben hat.

Klappentext

Hunter, steinreich, Amerikaner und begeisterter Jäger, hatte schon fast alles vor dem Lauf. Endlich bietet ihm sein Freund Van Heeren ein Nashorn zum Abschuss an. Hunter reist nach Afrika, doch sein Projekt, die Big Five vollzumachen, wird jäh von Wilderern durchkreuzt. Hunter sinnt auf Rache, als ihn Van Heeren fragt, ob er schon einmal von den Big Six gehört habe. Zunächst ist Hunter geschockt, aber als er die jungen Afrikaner beim flinken Jagen beobachtet …

Meine Meinung

Dieses Buch stellt wirklich jeglichen Idealismus in Bezug auf das Jagen von Tieren in Frage. Ich meine, ich könnte mir niemals vorstellen, auf Tiere zu schießen – schon gar nicht, um sich nur deren Schädel als Trophäe an die Wand zu nageln. Aber ich esse Fleisch. Zwar selten und ich versuche, auf eine Artgerechte Haltung zu achten, aber Fakt ist, für mein Steak musste jemand das Rind töten.

Gibt es ein richtig oder falsch in dieser Frage? Ich muss gestehen, nach der Lektüre finde ich die Beantwortung gar nicht mehr so einfach. Wir Europäer*innen können uns vermutlich den Luxus leisten, Großwildjagd aus ethischen Gründen abzulehnen. Aber was, wenn die kontrollierte Jagd erforderlich ist, um das Ökosystem in Balance zu halten. Oder um Wilderern vorzubeugen. Oder wenn dann keine Erlöse aus Jagdlizenzen mehr in den Artenschutz fließen.

»Nur dank der sündhaft teuren Jagdlizenzen kann in Ländern wie diesem der Artenschutz gefördert werden, denn nur das, was von wirtschaftlichem Wert ist, ist es wert, geschützt zu werden. Hier, in Afrika, scheren Löwe Cecil und seine Artgenossen die Leute einen feuchten Kehricht. Trügen sie kein Preisschild, würden sie die molligen Kätzchen einfach abknallen: für den Export oder den Kochtopf.«

Gaea Schoeters: Trophäe, S. 29

Und so bin ich während der Lektüre hin- und hergerissen.

Doch die Autorin geht sogar noch einen Schritt weiter und überträgt diesen Gedanken kurzerhand auch auf den Menschen.

Nicht verwunderlich, dass die Jagd das bestimmende Element dieses Romans ist, auch der Sprache. So werden sämtliche Figuren, ob Mensch oder Tier als Beute oder Jäger dargestellt und am Ende ist gar nicht mehr genau klar, wer hier eigentlich wen jagt.

Beim Protagonisten ist sogar der Name Programm: Hunter White, also weißer Jäger. Und obwohl er DER Antagonist sein sollte, schafft es Gaea Schoeters, ihn menschlich rüberzubringen. Wie er versucht, einem echten Jäger und auch seiner Beute gerecht zu werden – ohne Netz und doppelten Boden – macht ihn irgendwie weniger unsympathisch. Vor allem aber ist seine Figur so angelegt, dass man seine Ansichten und sein Verhalten zumindest auf den ersten Blick nachvollziehen kann.

Gleiches gilt für van Heeren. Die Autorin unterteilt nicht in Gut oder Böse, stattdessen zeichnet sie alle Schattierungen von Grau. Das lässt ihre Figuren auch so lebensecht erscheinen, was gleichzeitig furchtbar gruselig ist.

Selbst Hunters Frau wird als Trophäe dargestellt. Alles wird auf Jagd bezogen, selbst seine Frau scheint eine Trophäe zu sein.

Ihr Kopf fällt zurück, sie lacht, entblößt ihren Hals und bietet sich ihm an. (…) Wie eine rollige Löwin windet sie sich auf den Laken …

Gaea Schoeters: Trophäe, S. 244

In der Geschichte sind wir ganz nah dabei, wenn Hunter mit Fährtenlesern auf die Jagd geht. Sei es ein Nashorn, ein Kudu, ein Büffel oder – ein Mensch… Fasziniert und abgestoßen zugleich lese ich, was währenddessen in Hunter vorgeht, seine Emotionen, wenn er mit der Waffe einer Beute hinterherjagt: Angst, Macht, Erregung. Fast schäme ich mich, wie gut und fesselnd ich die Jagdszenen finde. Sie sind unfassbar atmosphärisch, ich kann die afrikanische Hitze und den Durst spüren, die Tiere und den Schweiß der Jäger riechen und die Geräusche des Busches wahrnehmen. Es ist, als wäre ich selbst mit dabei, obwohl ich das gar nicht sein will und trotzdem kann ich nicht aufhören zu lesen und die Geschehnisse zu beobachten. Die Geschichte wird so dicht und intensiv erzählt und wirkt so realistisch, dass ich fast vergesse, dass sich die Autorin den Plot nur ausgedacht hat. Dabei beschreibt sie brutal, schonungslos und fast schon provozierend. Ich kann kaum glauben, dass Gaea Schoeters weder Jagderfahrung hat noch schon einmal in Afrika war. Das zeugt von unglaublich ausführlicher Recherche.

Sie baut auch sehr geschickt die Auswirkungen des Kolonialismus in den Subtext mit ein, denn werden nicht Naturvölker immer noch mehr als Tiere denn als Menschen wahrgenommen? So wirkt auch !Nquate mehr wie eine Beute denn junger Mann.

Eine weitere sehr interessante Figur ist der Fährtenleser Dawid. Er ist mit !Nquate befreundet und hilft Hunter dennoch, ihn zu jagen. Oder will er ihn in eine Falle locken? Das bleibt bis zum Schluss spannend.

Indem wir alles durch Hunters Augen erlesen, umgeht die Autorin auch geschickt den möglichen Vorwurf kultureller Aneignung.

Übrigens vermag der Prolog schon das Ende vorwegzunehmen, ich muss allerdings gestehen, dass ich das erst im Rückblick realisiert habe. Ob mir das Ende gefällt, kann ich gar nicht beantworten. Einerseits empfinde ich es als gerecht, andererseits ist es schon etwas zu einfach.

Fazit

Ich glaube, ich habe noch nie etwas Vergleichbares gelesen. „Trophäe“ ist ein ebenso bewegendes wie verstörendes Buch mit einem interessanten fast schon philosophischen Gedankenexperiment, das nachhallt und mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dabei liefert die Autorin keine Antworten auf Fragen des Natur- und Artenschutz, sondern gibt lediglich Denkanstöße. Für mich schon jetzt ein Jahreshighlight.

Bibliografie

Titel: Trophäe
Autorin: Gaea Schoeters
Verlag & Copyright: Zsolnay
Seitenzahl: 256
Erscheinungsdatum: 19. Februar 2024
Preis: 24 € (Hardcover)

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