Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte von T.J. Klune

Ich glaube, ich habe noch nie so viele Zitate in eine Rezension eingebracht, wie bei Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte. Jedes Wort, jede Zeile ist absolut Lesenswert und hinter jedem Abschnitt verbirgt sich eine weitere kluge Botschaft. Ich hoffe daher von Herzen, dass ich euch mit meiner Begeisterung von diesem Buch ein wenig anstecken kann.

Klappentext

Linus Baker – vierzig, übergewichtig, single – ist ein vorbildlicher Beamter der Behörde für die Betreuung Magischer Minderjähriger. In seinen siebzehn Jahren Dienstzeit war er auch nur einen Tag krank, er lebt in ständiger Furcht vor seiner Vorgesetzten Ms. Jenkins, und Vorgaben und Verordnungen, das Regelwerk der Behörde, ist seine Gute-Nacht-Lektüre.
Eines Tages wird Linus zu seinem Entsetzen vor das Allerhöchste Management zitiert, wo er – zu seinem noch größeren Entsetzen – einen Spezialauftrag erhält: Er soll einen Monat lang das Waisenhaus eines gewissen Mr. Parnassus‘, das sich auf einer abgelegenen Insel befindet, genauer unter die Lupe nehmen. Also packt Linus notgedrungen seinen Koffer und macht sich zusammen mit seiner übellaunigen Katze Calliope auf die Reise ins Unbekannte. Kaum auf der Insel angekommen, stellt er fest, dass Mr. Parnassus‘ Schützlinge alles andere als gewöhnliche magische Minderjährige sind – einer von ihnen ist möglicherweise sogar der Sohn des Teufels! Bei Mr. Parnassus und seinen Kindern kommt Linus mit seiner Vorliebe für Regeln und Vorschriften nicht weit, das merkt er schnell. Eher widerwillig lässt er sich auf dieses magische Abenteuer ein, das ihn erwartet, und erfährt dabei die größte Überraschung seines Lebens…

Meine Meinung

Seit Harry Potter habe keine so schöne Fantasy-Geschichte mehr gelesen, die sämtliche Altersgruppen anspricht. Dabei kann ich den Roman sogar ausgewiesenen „Fantasy-Muffeln“ empfehlen, da es nicht um Zauberei geht, sondern einfach nur magische Wesen existieren.

Charaktere

Das Großartigste an diesem Buch sind seine Figuren. Ich liebe jede einzelne von ihnen. Nicht eine Sekunde habe ich an ihrer Echtheit gezweifelt.

Den Protagonisten Linus Baker lernen wir als korrekten und ehrlichen Sachbearbeiter der BBMM kennen, der stets objektiv bleibt, obwohl ihm das Wohl der Kinder wirklich über alles geht. Doch in ihm steckt auch so viel mehr, als er zu sehen bereit ist und zu erleben, wie er auf der Insel zu seinem wahren Ich findet, ist einfach nur wundervoll.

Ich habe meine Blase platzen lassen. (…) Sie hat mich beschützt, hat mich aber auch daran gehindert, wirklich zu leben.

T.J. Klune: Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte, S. 443

Einen nicht unerheblichen Anteil an Linus‘ Veränderung trägt der schneidige Heimleiter Arthur Parnassus. Er ist seinen Schützlingen Lehrer, Vertrauensperson und Vorbild in einem und auch Linus hilft er dabei, sich selbst auf eine ganz andere Weise zu sehen. Noch nie habe ich eine queere Liebesgeschichte auf so natürliche ungekünstelte nicht-zwanghafte Weise erlebt wie in diesem Buch. Dabei drängt sie sich nie in den Vordergrund.

Alle sechs Kinder sind absolut einzigartig und besitzen völlig unterschiedliche, liebevoll ausgearbeitete Charaktere. Einfühlsam macht uns der Autor nach und nach mit ihren Schicksalen vertraut.
Sie tragen ebenfalls dazu bei, dass Linus aus seiner Komfortzone heraus tritt. Sie fordern ihn auf eine Weise und begegnen ihm mit so viel kindlicher Direktheit, dass er wohl schlicht nicht anders kann, als darauf zu reagieren und sich zu verändern.

Ist ja nicht seine Schuld, dass er rundlich ist. Stimmt’s, Mr. Baker? Wir Rundlichen müssen zusammenhalten.

T.J. Klune: Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte, S. 215

Viel mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht verraten, aber ich bin überzeugt, dass ihr sie sofort in euer Herz schließen werdet.

Beschützt werden sie jedoch nicht nur vom Heimleiter, sondern auch vom Inselelementar Zoe. Eine weitere ganz fantastische Figur!

Die Inselbewohner, vom wütenden Mob bis zur progressiven Bürgermeisterin, erscheinen hingegen allesamt aus dem wahren Leben gegriffen.

Diese Sprache!

T.J. Klune schreibt ruhig, aber sehr flüssig und fesselnd. Sein Erzählstil ist liebevoll, mit einer bildhaften Sprache und starken Bildern. Das Amt, die Insel, das Dorf – all diese Orte erweckt er zum Leben. Dazu schafft er eine Atmosphäre, die mich sofort in die Geschichte abtauchen lässt. Seine Figuren sind lebendig und die Handlung gespickt mit zahlreichen humorvollen Situationen, die mich immer wieder zum Lachen gebracht haben. Dazu weiß er Gegensätze geschickt in Szene zu setzen, wie bspw. die farbenfrohe diverse Insel zur  verregneten eintönigen Stadt.

Auffällig ist, dass der Roman fast gänzlich ohne Weltenbeschreibung auskommt. Wir erfahren lediglich, dass es magische Wesen gibt und es selbstverständlich erscheint, dass diese sich registrieren müssen und von „normalen“ Menschen sowie entsprechenden Behörden kontrolliert werden.

Ich bin beeindruckt, wie viele aktuelle Gesellschaftsprobleme mit dieser Geschichte auf so niedrigschwelligem Niveau angesprochen werden.

Zentrales Thema ist immer wieder die diffuse Angst vor allem Unbekannten bzw. Dingen, die man nicht versteht und dass dieses Mistrauen schnell in Hass umschlagen kann. Es geht um Vorurteile,  Intoleranz und Ausgrenzung, aber auch um Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt, um Respekt, Akzeptanz und Inklusion.

Eine Farbexplosion

Dass sich hinter diesem pastellig-bunten Cover eine so tiefgründige Geschichte verbirgt, hätte ich bei Weitem nicht erwartet. Das Buch ist voller Metaphern sowie kleiner und großer Lebensweisheiten. 

Das stimmt nicht Mr. Baker. Arthur hat gesagt, auch in etwas ganz Gewöhnlichem kann sich Magie verbergen.

T.J. Klune: Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte, S. 400

Hinter jedem Charakter, jeder Interaktion und Entwicklung lässt sich eine weitere Botschaft entdecken. Und dies auf äußerst angenehme Weise, denn man sieht den Autor nie mit erhobenen Zeigefinger vor sich.

Die Botschaft ist eindeutig:

Lasst uns stolz sein auf unsere Einzigartigkeit und versuchen, die beste Version unseres Selbst zu werden.

(…) Wir werden nicht durch Geburt zu dem, was wir sind, sondern durch die Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen. Es lässt sich nicht alles auf Schwarz und Weiß reduzieren, denn es gibt noch so viel dazwischen. Man kann etwas nicht einfach als gut oder böse abtun, ohne die Facetten dahinter zu berücksichtigen.

T.J. Klune: Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte, S. 427

Und lasst uns anderen mit Respekt begegnen und mit offenen Augen und Ohren, vor allem aber, mit offenem Herzen.

Fazit

In einem Wort? Z.A.U.B.E.R.H.A.F.T.

Der Roman lebt von den Figuren und der unglaublichen Atmosphäre, die der Autor zustande bringt. Die Geschichte hat mich zutiefst berührt, gleichzeitig war es ein absolutes Wohlfühlbuch mit einer wichtigen Botschaft. Dieses Buch ist die perfekte Flucht aus der Realität, die im Moment alles andere als perfekt ist.

Auch wenn Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte als Roman deklariert wird, verbirgt sich hinter dieser fantastischen Geschichte eine Anleitung für ein besseres Miteinander. Klare Leseempfehlung an alle Altersgruppen!

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Bibliografie

Titel: Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte
Autor: T.J. Klune
Übersetzung: Charlotte Lungstrass-Kapfer
Verlag und Copyright: Heyne
Seitenzahl: 480
Erscheinungstermin: 13. April 2021
Preis: 14,99€ (Klappenbroschur)

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