12 neue Leben von Sebastian Kühn

Weder Cover noch Titel hätten mich von diesem Buch überzeugt. Auch der Klappentext verhieß nichts Neues. Brauchte ich also wirklich noch ein Buch von jemandem, der im Selbstversuch probiert, frutarisch (heißt das überhaupt so?) zu leben oder minimalistisch oder sich auf einer Langstreckenwanderung selbst zu finden hofft? Eigentlich nicht. Warum ich mich trotzdem auf diese Buchverlosung beworben habe, lag in den Reaktionen des Autors auf die bereits eingegangenen Bewerbungen begründet, die mir sehr authentisch und sympathisch erschienen. Ich mag Leserunden, bei denen der Autor dabei ist und sich die Zeit nimmt, sich mit den Lesern auszutauschen – dummerweise habe ich übersehen, dass es gar nicht um eine Leserunde ging, d.h. ein Austausch mit dem Autor fand gar nicht statt…

Sprachstil

Der Erzählstil ist locker biographisch, es ist ein wenig so, als würde man das Tagebuch des Autors lesen. Leider ist die Schriftgröße sehr klein, ebenso wie die Seitenränder sehr schmal sind, sodass der Text optisch auf die Seiten gequetscht erscheint. Halte ich so ein Buch in Händen, frage ich mich immer: „Wieso macht ein Verlag sowas? Wäre eine fünfprozentige Steigerung der Seitenzahlen wirklich so schlimm gewesen?“

Worum geht’s und wie fand ich es?

Wie der Titel schon vermuten lässt, probiert Sebastian Kühn ein ganzes Jahr lang jeden Monat eine andere Art zu leben aus.

Die Kapitel sind recht kurz, das Buch eignet sich also hervorragend für Wartezeiten und die Handtasche. Wie Kolumnen in einem Magazin reiht sich Selbstversuch an Selbstversuch.

Er versucht dabei in zwölf Kapiteln (meine Kurzmeinung findet ihr direkt dahinter):

  • keine digitalen Spuren zu hinterlassen
    • Kurzmeinung: ein paar Tage Digital Detoxing würden mir sicher auch gut tun, aber ohne Reisepass wäre mein Leben nicht mehr das, was ich gern führen möchte. Außerdem will ich mich weder an den Rand der Legalität begeben noch Hacker werden. Ich denke, ich bin mit dem System der Marktwirtschaft hinreichend vertraut, um bewusste Entscheidungen zwischen „Komfort/Bequemlichkeit“ und „Anonymität“ treffen zu können.
  • sich nur von Früchten und Nüssen zu ernähren
    • Kurzmeinung: Es tut mir leid, aber wie ich es auch drehe und wende: eine Leben ohne Steaks, Kohlrabi, Pasta, Schokolade und Marzipan klingt in keinem vorstellbaren Szenario ansatzweise akzeptabel für mich.
      Beim Thema Ernährung halte ich es lieber wie unsere Katze: Zuversichtlich, dass selbst in Corona-Zeiten nie die Schokolade ausgehen wird, esse ich, wann immer ich das Bedürfnis danach verspüre und höre auf, wenn mein Bauch mir sagt, dass es erstmal genug ist. Auch wenn dann noch etwas im Napf, ich meine natürlich auf dem Teller, liegen sollte.
  • Philanthrop zu werden
    • Kurzmeinung: ist immer erstrebenswert, solange man sich dabei selbst nicht vergisst.
  • sich ganz viele Muskeln anzutrainieren
    • Kurzmeinung: die Moral von der Geschichte war „nicht aufzugeben bzw. durchzuhalten“. Das ist aber eine Lektion, die man in zahllosen anderen Settings auch lernen kann. Ein gesundes Maß an Muskelkraft ist dabei sicher erstrebenswert, ich will aber auch mal „rumgammeln“ und mich gehen lassen können.
  • sich selbst zu versorgen
    • Kurzmeinung: Dazu ist mir nichts in Erinnerung geblieben, war also wohl eher nichtssagend…
  • Nackt durchs Leben zu gehen
    • Kurzmeinung: Hier fand ich die Erfahrung zum kaum benötigten Smalltalk spannend:
      „Sobald also die äußeren Hüllen einmal gefallen wären, sei die Distanz beim kennen lernen deutlich kleiner. Dann wären wir verletzlicher, wodurch es auch weniger Small Talk benötigen würde, um sich zu beschnuppern.“ (S. 183)
  • Müll zu vermeiden
    • Kurzmeinung: Ein sehr interessantes Experiment, wenngleich ich die Ideen und Gedanken gerade in der letzten Zeit schon dutzendmal gelesen habe.
  • sich in die Einsamkeit zurückzuziehen
    • Kurzmeinung: Ui, ja das ist eine Idee, die ich auch gern mal wagen würde. Jedoch sitze ich in meiner verträumten Vorstellung vor einer gut bestückten Bibliothek in einem furchtbar bequemen Sessel am knisternden Kaminfeuer eines Blockhauses in Norwegen (welche natürlich über alle erforderlichen sanitären Anlagen verfügt) und lese ein Buch nach dem anderen.
  • mit weniger Schlaf auszukommen
    • Kurzmeinung: Das war das einzige Kapitel, in dem ich das Gefühl hatte, etwas Neues zu lernen. Darüber werde ich bestimmt noch mehr recherchieren, sehr interessant!
  • Auf dem Franziskusweg pilgern
    • Kurzmeinung: Also dieser Selbstversuch kam mir dann doch etwas unauthentisch vor. Wer macht sich denn bitte auf eine mehrere hundert Kilometer lange Strecke auf, ohne Wanderschuhe an den Füßen zu haben?
  • den Sinn des Lebens zu finden
    • Kurzmeinung: Zum Schluss wird es noch einmal richtig gut. Insbesondere die Erkenntnis, dass sich die verschiedenen Herangehensweisen an das Thema letztendlich doch gar nicht so sehr unterscheiden.

Im Großen und Ganzen könnte man all diese Selbstversuche unter dem Stichwort Resilienz zusammenfassen. Nach jedem Experiment versucht Sebastian Kühn in Rückschau und Selbstreflexion den zumeist abstrakten Erkenntnisgewinn auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zu auszumachen.

Dabei erscheint mir der Autor noch recht jung und so habe ich bei der Lektüre ein wenig das Gefühl, ihm beim „Erwachsenwerden“ zu begleiten bzw. bei dem Prozess, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Als nicht mehr ganz junge Leserin werde ich an Ereignisse, Schicksalsschläge und Erfahrungen meines Lebens erinnert, die mir dieselben Lektionen – nur auf andere Art und Weise – erteilten.

Chapeau!

Was mir wirklich ausgesprochen gut gefallen hat und den wenigsten Autorinnen und Autoren gelingt, ist die Art, wie Sebastian Kühn von verschiedenen Lebensweisen berichtet, ohne auch nur im Geringsten belehrend oder bekehrend zu wirken. Dass er auch von den Ausrutschern erzählt, wie er Schwach wurde und dass er dafür plädiert, lieber ein bisschen (egal in welche Richtung) zu machen, macht ihn sehr sympathisch. Damit trifft er genau meine Meinung: Perfektionismus ist hier einfach fehl am Platz.

Fazit

Ein nettes Buch für Zwischendurch, weder wahnsinnig tiefschürfend, noch Tagelang nachhängend, dafür aber unterhaltsam geschrieben.

Kostenloses Leserundenexemplar

Das Buch wurde mir im Rahmen einer Buchverlosung auf Lovelybooks.de kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies beeinträchtigt in keiner Weise meine Bewertung.

Buchexperiment

Sebastian Kühn hat in mir die Experimentierlust geweckt. D.h. ich wage mal einen Buchversuch. Da es zwar unterhaltsam zu lesen war, aber keinen unmittelbaren Mehrwert für mein Bücherregal darstellt (Zeitschriften und Magazine bewahre ich auch nicht auf), schicke ich das Buch auf Wanderschaft. Kennt ihr Bookcrossing? Ich habe mich dort angemeldet, das Buch mit einer Kurzrezension und dem Trackingaufkleber versehen und muss jetzt nur noch in Zeiten von Corona eine geeignete Möglichkeit finden, das Buch freizulassen. Ich bin gespannt, welche Reise es antreten wird…

Infos

Titel: 12 neue Leben – Selbst[ver]suche

Autor: Sebastian Kühn

Verlag: Selbstverlag

Copyright: Sebastian Kühn

Gestaltung: Yvonne Rundio

Seitenanzahl: 368

Erscheinungsdatum: 04. Februar 2020

Preis: 14,95 € (Taschenbuch)

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