Dieses Buch haben wir im eat.READ.sleep Lesekreis gelesen und wieder einmal kann ich nur sagen: Gott sei Dank! Denn ansonsten wäre „Ava liebt noch“ wohl einfach an mir vorbeigezogen – und was für einen großartigen Roman ich dann verpasst hätte!
Klappentext
»Ich bin gerade mal 43 Jahre alt, die letzten zwölf davon war ich eingefroren.«
MUTTER WERDEN UND FRAU BLEIBEN. Über den Spruch kann Ava nur lachen. Ihr Leben wird schon seit Jahren komplett von der Familie bestimmt. Jetzt ist sie 43, das erste ihrer drei Kinder kommt in die Pubertät und ihr Mann macht Karriere. Und Ava? Funktioniert wie auf Autopilot.
Als sie den neunzehn Jahre jüngeren Kieran kennenlernt, stürzt sie sich gegen alle Vernunft in eine Affäre. Zum ersten Mal seit langer Zeit erkennt sie die Frau wieder, die sie einmal war.
Aber die heile Familie für ihr eigenes Glück opfern? Die Kinder dem Tratsch in der Kleinstadt aussetzen?
Das kann Ava nicht. Und doch, die Liebe zu Kieran ist echt und die Sehnsucht nach Freiheit immer noch da.
Meine Meinung
Dieses Buch hat uns im Lesekreis ausnahmslos begeistert. „Ava liebt noch“ ist nicht nur ein sprachliches und inhaltliches Highlight, sondern auch haptisch ein kleines Kunstwerk – ein echter Handschmeichler, der sich beim Lesen genauso gut anfühlt, wie der Text sich entfaltet.
Vera Zischke schreibt in einer so bildstarken, feinfühligen Sprache, dass man am liebsten jeden zweiten Satz anstreichen möchte. Fast unmerklich entsteht beim Lesen ein ganzes Panoptikum aus Momentaufnahmen, Gedanken, Gesten – dabei schafft sie es stets die Balance zu halten zwischen Verzweiflung und Liebe, zwischen Alltag und Aufbruch.
Was diesen Roman aber vor allem so besonders macht, sind die Figuren. Sie sind lebensecht gezeichnet – nicht idealisiert, nicht überzeichnet, sondern greifbar. Ava fühlt sich an wie eine echte Person, keine literarische Konstruktion. Ihr Verhalten ist nachvollziehbar, auch wenn es wehtut. Man leidet mit ihr, versteht die Dynamik mit ihren Kindern (die ebenso glaubwürdig gezeichnet sind) und erkennt, wie komplex ihre Lage ist.
Kieran – der junge Liebhaber – ist nicht bloß Projektionsfläche, sondern eine vollwertige Figur. Dass einige Kapitel aus seiner Sicht erzählt werden, macht ihn nur umso nahbarer. Er ist eine dieser raren Greenflags in der Literatur: empathisch, reflektiert, liebevoll.
Selbst der Ehemann, der auf den ersten Blick unsympathisch wirkt, ist nicht eindimensional. Er ist das Produkt seiner Sozialisierung, seiner Prägung – was sein Verhalten nicht entschuldigt, aber erklärt. Dadurch wiederum wird Avas Handeln umso nachvollziehbarer. Gerade Leser*innen, die wie ich grundsätzlich ein Problem mit dem Thema Affäre haben, finden hier vielleicht eine neue Perspektive.
Und was auf den ersten Blick wie eine „banale“ Alltagsgeschichte wirkt, entfaltet eine enorme emotionale Tiefe. Gerade weil der Roman so ruhig erzählt ist, trifft er umso mehr. Es geht ums Muttersein, Frau sein und die damit verbundenen Rollenbilder in unserer Gesellschaft. Aber eben nicht im sachbuchhaften Ton, sondern über leise, sehr persönliche Beobachtungen – immer unterhaltsam, immer ehrlich, nie plakativ. Es geht um das Aufbrechen alter Muster und um das mutige Wiederentdecken der eigenen Identität. Gerade in einer Zeit, in der Romane über Carearbeit und weibliche Selbstbestimmung leider noch zu selten sind, ist es umso erfreulicher, dass solche Geschichten immer öfter ihren Weg auf den Markt finden.
Einziger Kritikpunkt: Im letzten Drittel gibt es ein einschneidendes Ereignis, das als Katalysator für Avas Veränderung dient. Ich will nicht spoilern, aber es ist ein Stilmittel, das man so oder so ähnlich schon öfter gelesen hat. Daher wirkt es auf mich etwas zu abgegriffen. Aber ich gebe zu: in diesem Roman fügt es sich sehr gut ein, vielleicht sogar besser als in vielen anderen. Und vielleicht braucht gerade Ava diesen Einschnitt, um sich zu bewegen.
Hörbuch
Ich habe das Buch übrigens gehört – und deswegen fast abgebrochen. Während die Sprecherin Avas Kapitel sensationell gut einspricht, macht der männliche alles kaputt. Vor allem, weil er die weiblichen Stimmen in Kierans Passagen völlig überzeichnet und fast schon lächerlich toniert.
Ich kann also leider nur dringend dazu raten, das Buch zu lesen und nicht zu hören. Außerdem könnt ihr euch dann auch die ganzen tollen Zitate anstreichen.
Fazit
„Ava liebt noch“ ist ein Rundumerfolg: Ein Roman, der mit seiner präzisen Sprache, der authentischen Figurenzeichnung und der gekonnten thematischen Balance überzeugt. Er zeigt, wie schmerzhaft und zugleich befreiend der Weg zur eigenen Identität sein kann – und das, ohne jemals in Kitsch abzudriften.
Bibliografie

Titel: Ava liebt noch
Autorin: Vera Zischke
Verlag & Copyright: List
Seitenzahl: 304
Erscheinungstermin: 01.08.2024
Preis: 21,99 € (Hardcover)