Dieses Buch steht schon unglaublich lange in meinem RuB, so dass ich mich mega über die Leserunde von @buch-leselust gefreut habe. Und ich kann nur empfehlen, dieses kleine Meisterwerk gemeinsam zu lesen, denn es gibt viel zu besprechen!
Klappentext
Im Paris der 50er-Jahre lernt David, amerikanischer Expat, in einer Bar den reizend überheblichen, löwenhaften Giovanni kennen. Die beiden beginnen eine Affäre – und Verlangen und auch Scham brechen in David los wie ein Sturm. Dann kehrt plötzlich seine Verlobte zurück und David bringt nicht den Mut auf, sich zu outen. Im Glauben, sich selbst retten zu können, stürzt er Giovanni in ein Unglück, das tödlich endet.
Meine Meinung
Zunächst muss man wissen, dass dieses Buch bereits 1956 erschienen ist, was man schon an der authentischen Atmosphäre der Pariser Nachkriegsjahre spürt. Gleichzeitig entfaltet James Baldwin ein ebenso zeitloses wie dichtes Porträt innerer Zerrissenheit, gesellschaftlicher Konventionen und dem existenziellen Ringen mit der eigenen Identität.
Im Mittelpunkt steht David, ein junger Amerikaner in Paris, der mit der Entdeckung seiner Homosexualität konfrontiert wird – und mit der Scham, Angst und Verdrängung, die diese Erkenntnis in ihm auslöst. Der Plot rückt dabei in den Hintergrund; es geht nicht um das „Was passiert?“, sondern um das „Wie fühlt es sich an?“. Durch die Ich-Perspektive wird dies noch verstärkt und wir bekommen Davids Unsicherheit und Selbsthass selbst zu spüren.
Dabei ist keine von Baldwins Figuren durchweg sympathisch gezeichnet. Weder David, der seine Verlobte Hella hintergeht und sich selbst verleugnet, noch Giovanni, der auf eine eigene Weise manipulativ und abhängig ist. Auch die betagteren Jaques und Guillaume, die ihre Einsamkeit durch finanzielle Kontrolle über jüngere Männer zu kompensieren versuchen, erzeugen eher Beklommenheit als Mitgefühl.
Auffällig ist zudem, dass selbst David und Giovanni – zwei Männer, die selbst nicht frei leben können – das Frauenbild ihrer Zeit vollständig übernehmen, ohne es zu hinterfragen. Frauenfiguren wie Hella erscheinen fast als Projektionsflächen für männliche Bedürfnisse oder gesellschaftliche Erwartungen. Hellas Selbstaufgabe, ihre naive Hoffnung auf eine „normale“ Ehe mit David, und Davids Unfähigkeit, ihr ehrlich zu begegnen, zeigen, wie tief verankert die traditionellen Geschlechterrollen sind – auch in jenen, die selbst unter gesellschaftlicher Ausgrenzung leiden. Diese blinde Übernahme patriarchaler Strukturen gibt dem Roman eine zusätzliche Ebene der Tragik.
Bei Metaphern halte ich mich ja immer zurück, aber auch ich begreife die Symbolik des Zimmers, in dem David und Giovanni gemeinsam leben. Ein dunkles, schäbiges Mägdezimmer am Rande von Paris – also ein Ort, an dem niemand freiwillig wohnen möchte. Und doch wird es für eine kurze Zeit zu einem Raum der Nähe, der Intimität – und gleichzeitig zu einem Gefängnis. Das Zimmer spiegelt die emotionale Lage der Figuren wider: ein Ort des Versteckens, der Unsicherheit und der existenziellen Enge. So wie die beiden Männer dort zusammenkommen, ohne wirklich frei zu sein, wird das Zimmer zur Metapher für ein Leben im Verborgenen – für eine Liebe, die keinen Platz in der Welt draußen hat. Die Dunkelheit, die Unordnung und das Gefühl der Ausweglosigkeit, das der Raum vermittelt, stehen sinnbildlich für Davids innere Zerrissenheit und die gesellschaftliche Verdrängung queerer Existenz. Irgendwo habe ich gelesen, Giovannis Zimmer sei nicht nur ein Ort – es ist ein Zustand – und ich finde, das trifft es genau.
Fazit
Giovannis Zimmer ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt. Über Liebe, Angst, gesellschaftlichen Druck – und über den Mut, zu sich selbst zu stehen. In einer Zeit, in der Homosexualität vielerorts noch strafbar war, ist dieses Werk ein leises, aber kraftvolles Plädoyer für Wahrhaftigkeit. Gerade deshalb wäre es eine lohnenswerte Lektüre im Schulunterricht – ein Fenster in die Vergangenheit, das viel über unsere Gegenwart erzählt.
Lest unbedingt auch das kluge Nachwort von Sasha Marianna Salzmann. Allerdings erst nach der Lektüre – es öffnet neue Deutungsebenen, ohne den Zauber der Geschichte zu zerstören.
ChatGPT – ein Experiment
Ich habe mir bei dieser Rezension von ChatGPT bei der Formulierung helfen lassen. D.h. ich habe das Tool aus meinen Notizen (also meine Gedanken, Eindrücke und Bewertungen zu Figuren, Plot, Setting, Schreibweise etc.) eine Rezension erstellen lassen. Natürlich waren einige Iterationen nötig und ich musste abschließend auch noch einmal „Drüberformulieren“ bis der Text für mich wirklich stimmig war, aber ich bin immer noch überrascht (oder eher erschrocken?), welches Ergebnis man damit erzielen kann.
Bibliografie

Titel: Giovannis Zimmer
Autor: James Baldwin
Übersetzung: Miriam Mandelkow
Verlag & Copyright: dtv
Seitenzahl: 208
Erscheinungsdatum: 23.07.2021
Sehr schöne Rezension und das ist auch mit ChatGPT echt gut gelungen! Da braucht man ja etwas Fingerspitzengefühl in der Umsetzung.
Vielen Dank!