Morgen, morgen und wieder morgen von Gabrielle Zevin

Ich bin keine wirkliche Gamerin. Aber ich habe früher gern Computerspiele gespielt, von Donkey Kong über Zelda bis hin zu Monkey Island. Ein Buch, das in der Welt von Spieleentwickler*innen angesiedelt ist, klang spannend. Außerdem habe ich so etwas noch nicht gelesen. Doch die Meinungen zu diesem Roman variieren stark und auch, wenn ich ihn genial fand, kann ich verstehen, wenn man ihn nicht mochte.

Klappentext

Mitte der 90er-Jahre in Massachusetts: An einer U-Bahn-Station trifft Sadie, hochbegabte Informatikstudentin und angehende Designerin von Computerspielen, ihren früheren Super-Mario-Partner Sam wieder. Die beiden beginnen, gemeinsam an einem Spiel zu arbeiten, und schnell zeigt sich, dass sie nicht nur auf freundschaftlicher, sondern auch auf kreativer Ebene ein gutes Team sind. Doch als ihr erstes gemeinsames Computerspiel zum Hit wird, brechen sich Rivalitäten Bahn, die ihre Verbundenheit zu bedrohen scheinen.

Meine Meinung

Figuren

Die Geschichte beginnt in den 80ern und erstreckt sich bis in die Gegenwart. Wir begleiten die Figuren also über eine lange Zeitspanne hinweg und vielleicht lag es daran, dass ich das Gefühl hatte, ihnen unglaublich nahe zu kommen. Die Handlung springt zeitlich immer wieder vor und zurück; trotzdem kann man ihr gut folgen, denn es ist ein wenig so, als würde mir jemand die Lebensgeschichte von Sam und Sadie erzählen und wie das beim Erzählen so ist, fällt einem immer wieder etwas ein, das man ergänzen will, bevor man wieder auf den linearen Weg zurückfindet. Gleichzeitig wechselt die Autorin geschickt die Perspektiven und ich finde es gut, dass sie auf einen Ich-Stil verzichtet: der hätte hier einfach nicht gepasst.

Beide Hauptfiguren haben jede*r für sich einen äußerst eigensinnigen Charakter und kommen auch  nicht immer sympathisch rüber. Trotzdem habe ich sie schnell ins Herz geschlossen.

Sam hat in seinem jungen Leben schon so einiges durchmachen müssen. Seine Familie hatte nie viel Geld und seit einem Autounfall als Kind hat er einen kaputten Fuß, wodurch er sich unattraktiv fühlt und in seine eigene Welt zurückzieht. Trotzdem kann er gut mit Menschen umgehen und sie für sich einnehmen.

Sadie hat kein großes Selbstbewusstsein, was als Frau in einer Männerdomaine nicht gerade hilfreich ist. Sie wirkt oft zickig und empathielos; außerdem kann sie sich so richtig gut in Sachen hineinsteigern. Als sie und Sam ihren ehemaligen (und immer noch verheirateten) Professor (und Geliebten) um Hilfe bitten, fällt sie in alte Verhaltensmuster.

Sam und Sadies Beziehung zueinander ist super authentisch, mit echten Höhen und Tiefen. Aber sie ist auch sehr komplex. Mit jeder Seite wird deutlicher spürbar, wie viel sie einander bedeuten, auch wenn sie sich immer wieder gegenseitig weh tun. Und auch wenn sie sich in Herkunft, Charakter und Hintergrundgeschichte stark unterscheiden, ist ihre gemeinsame Leidenschaft für Computerspiele wie ein Band, das nicht durchtrennt werden kann.

Dritter im Bunde ist Marx: Sams Zimmergenosse am College. Der Sohn reicher Eltern hat Sam irgendwie unter seine Fittiche genommen. Außerdem wirkt er wie ein Puffer oder Verbindungsstück zwischen Sam und Sadie. Zu dritt gründen sie eine Gamingfirma, in der er die Managementfunktion übernimmt. Wie Sam hat er ein Faible für Sadie ist grundsätzlich aber eher ein kleiner Filou.

Handlung

Es ist also schon eine Art Dreiecksbeziehung, aber im Grunde geht es um Freundschaft. Darüber hinaus spricht die Autorin über ihre Figuren eine Vielzahl von weiteren Themen an: Behinderung, Krankheit und Verlust; soziale Unterschiede, kulturelle Aneignung und Selbstzweifel; Drogen, Abtreibung und Amoklauf – das ist schon eine Menge für ein Buch, aber es sind auch einfach drei wirklich bewegte Leben, um die es hier geht. So wirkt es auch nie überfrachtet und Gabrielle Zevin gelingt es, all das logisch und authentisch unterzubringen und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen.

Dabei hilft auch das Setting, denn das Thema Computerspiele ist so viel mehr als das. Es ist auf jeder Seite präsent – ein Kapitel spielt sogar in einem Game, was mich zunächst furchtbar genervt hat. Doch wenn man es durchgelesen hat, erkennt man, wie genial es sich in die Geschichte einfügt. In Bezug auf die zwischenmenschlichen Beziehungen dient diese Welt auch als Rahmen und Verbindung zwischen den Leben der Figuren. Und natürlich bietet das Buch einen faszinierenden Einblick in die Spieleentwicklung, bspw. durch die Gespräche darüber, was die Figuren an einem Spiel mögen oder nicht oder die Herausforderungen, die sich im Prozess von Ideenfindung bis zum Launch ergeben. Dabei fand ich besonders spannend, dass Computerspiele anscheinend wie Romane als Geschichten angelegt werden, die es zu erzählen gilt. Plot und Szenenaufbau (sowohl technisch als auch ästhetisch) greifen direkt ineinander und es ist spannend, wie viel von den Entwickler*innen selbst in Charakter- und Weltaufbau stecken. Letztendlich kommt es mir so vor, als würden die Grenzen zwischen Buch und Spiel verschwimmen.

Der eigentliche Plot ist übrigens auch sehr gut konstruiert.

Sprachstil

Die Grundstimmung ist schon etwas melancholisch; dennoch ist MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN unterhaltsam und fesselnd geschrieben; trotz einiger Längen konnte ich es nicht aus der Hand legen. Allerdings braucht die Lektüre Zeit, denn man sollte unbedingt sehr aufmerksam lesen, um auch den gesamten Subtext zu erfassen. Das ist so ähnlich, wie in Sam und Sadies Games. Die sind gerade deswegen so brillant, weil unter der Oberfläche viel mehr steckt, als man zunächst vermuten würde. Meine Empfehlung lautet daher: lest ihre Geschichte aufmerksam, denn es gibt so viel zu entdecken!

Grandioser Titel

Normalerweise beschäftige ich mich in einer Rezension nicht mit dem Titel eines Buches, aber hier muss ich doch mal ein paar Zeilen dazu verlieren: Das Shakespeare Zitat aus Macbeth „Morgen, morgen und wieder morgen“ bezieht sich in diesem Roman darauf, dass man in einem Computerspiel mehrere Leben zur Verfügung hat, d.h. immer wieder neu anfangen kann, wenn man gescheitert ist. Und wie genial ist das bitte!

Fazit

MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN ist ein sehr unterhaltsamer, aus dem Leben gegriffener Coming of Age Roman über Freundschaft und darüber, was passiert, wenn beste Freunde zusammenarbeiten und womöglich auch noch Liebe mit im Spiel ist.

Für mich war es außerdem eine kleine Zeitreise in meine Jugend voller Easter Eggs und liebevoller Details. Gabrielle Zevin hat den Zeitgeist meiner Generation wirklich perfekt eingefangen.

Bibliografie

Titel: MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN
Autorin: Gabrielle Zevin
Übersetzung: Sonia Bonné
Verlag & Copyright: Eichborn
Seitenzahl: 560
Erscheinungsdatum: 24. Februar 2023
Preis: 25 € (Hardcover)

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