Tausend strahlende Sonnen von Khaled Hosseini

Dieses Buch hatte ich bei den bookfriends4ever entdeckt und für unsere eat.read.sleep Leserunde vorgeschlagen, da ich noch nichts von dem Autor oder über Afghanistan gelesen hatte, aber sein Vorgänger „Drachenläufer“ schon ganz lange auf meiner want to read Liste steht.

Ich nehme mal vorweg, dass ich wünschte, alle würden dieses Buch lesen.

Inhaltsangabe des Verlags

Mariam ist fünfzehn, als sie aus der Provinz nach Kabul geschickt und mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid verheiratet wird. Jahre später erlebt Laila, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, ein ähnliches Schicksal. Als ihre Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie Raschids Zweitfrau. Nach anfänglichem Misstrauen werden Mariam und Laila zu engen Freundinnen. Gemeinsam wehren sie sich gegen Raschids Brutalität und planen die Flucht…

Meine Meinung

Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt eine Rezension diesem Buch gerecht werden kann, aber ich gebe mein Bestes, euch näherzubringen, warum mich die Geschichten von Mariam und Laila so bewegt, schockiert und zum Nachdenken gebracht haben.

Zum einen hat Khaled Hosseini derartig lebensechte Charaktere geschaffen, dass ich mir immer wieder in Erinnerung rufen musste, keine Biografie zu lesen.

Zum anderen sind die Lebenswege seiner Protagonistinnen so eng mit der afghanischen Geschichte verknüpft, dass wir die jüngsten politischen Entwicklungen aus weiblicher Perspektive miterleben.

Man kann also wirklich sagen, dass mir der Autor mit diesem Buch die Augen geöffnet hat, für das große unvorstellbare Unrecht, was den Frauen in seinem Heimatland derzeit – also im 21. Jahrhundert! – widerfährt.

Die Handlung umspannt ganze vier Jahrzehnte und beginnt 1970 mit Mariam. Sie ist die uneheliche Tochter eines bereits dreifach verheirateten Kinobesitzers und vergöttert ihren Vater, obwohl er sie in der Öffentlichkeit verleumdet. Sie kann die Bitterkeit ihrer Mutter ihm und Männern insgesamt gegenüber nicht verstehen und begeht aus einer unglücklichen Abfolge von Ereignissen einen folgenschweren Fehler, in dessen Konsequenz sie mit Raschid verheiratet wird und ihre Heimat verlassen muss.

Zu Beginn hatte ich noch gedacht, diese arrangierte Ehe könnte trotz der konservativen – i.S.v. meine Frau bleibt zu Hause und wenn sie doch in die Öffentlichkeit tritt, hat sie sich zu verhüllen – Einstellung Raschids funktionieren und Mariam hätte es mit ihrem Ehemann gar nicht so schlecht getroffen. Die kommunistische Regierung ist ihm ein Dorn im Auge, räumen sie Frauen doch weitgehende Rechte ein (wie bspw. Bildung). Schon nach kurzer Zeit zeigt er sein wahres (häßliches) Gesicht und seinen brutalen grausamen Charakter. Wir erfahren hautnah, wie wenig ein Frauenleben wert ist…

Gleichzeitig erleben wir Mariam hin- und hergerissen zwischen aufkommendem Unverständnis (sie bemüht sich doch so sehr, eine gute Ehefrau zu sein) und Nachsicht („Konnte sie ihm vorwerfen, so zu sein, wie er von Gott erschaffen worden war?“ Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen, S. 80). Diese zurechtgelegten Erklärungen machen mich echt fertig, denn es zeigt, dass ihr von Kindesbeinen an, Gehirnwäscheartig eingeimpft wurde, Männer seien ihre von Gott berufenen Meister und sie müsste alles stillschweigend erdulden. Aber ich steigere mich schon wieder rein…

Währenddessen gibt es immer wieder kurze Perspektivenwechsel zu Laila, bevor diese ganz die Protagonistinnenrolle übernimmt. Im Gegensatz zu Mariam, die gehorsam die grausamsten Launen ihres Ehemannes erträgt, tritt Laila selbstbewusst auf und stellt sich Raschid offen entgegen. Aber Laila wurde auch in eine ganz andere Familie hineingeboren. Ihr Vater ist Lehrer und hält Bildung für das Wichtigste im Leben. Er darf zwar unter den Sowjets seinen Beruf nicht ausüben, ist aber der Meinung, wenigstens Frauen hätten es unter russischer Herrschaft besser als zuvor. Damit ist seine Figur ein echter Hoffnungsschimmer am Horizont. Er hält seine Tochter an, sich zunächst um ihre Bildung und erst anschließend um eine eigene Familie zu kümmern. Natürlich verliebt sich Laila trotzdem – in ihren besten Freund Tarik.

Ihre Mutter zeigt uns eine weitere weibliche, wenngleich äußerst paradoxe Perspektive. Sie trauert um ihre Söhne, die im Kampf gegen die Sowjets fielen und fühlt sich gezwungen zu feiern, als die Muschahedin an die Macht kommen, obwohl sie umgehend damit beginnen, die Frauenrechte – und damit ja ihre eigenen – einzuschränken.

Doch die politische Lage ist nicht stabil und im Zuge des folgenden Krieges bricht ihre Welt aus den Fugen. Sie wird gezwungen, einen ganz anderen Weg einzuschlagen und Raschids zweite Frau zu werden – natürlich sehr zum Missfallen von Mariam. Die würde ich am liebsten rütteln und schütteln, damit sie erkennt, wer ihr wahrer Feind ist. Aber schließlich schafft es Laila, sie für sich zu gewinnen.

Als dann die Taliban an die Macht kommen, wird die Lage für Frauen immer hoffnungsloser und ich zweifle daran, dass sie Raschid unter ihrer terrorisierenden Herrschaft noch lebend entkommen können. Und da ist sie wieder, die Gänsehaut, denn die Unterdrückung der Frauen, denen jegliche Freiheitsrechte abgesprochen werden und bei Missachtung der Regeln brutalste körperliche Strafen bis hin zur öffentlichen Hinrichtung drohen, ist leider nicht der Fantasie des Autors entsprungen. Schonungslos vermittelt er seinen Leser*innen die Ohnmacht und wie hilflos Frauen Männern ausgeliefert sind. So danke ich bei jeder Seite Gott dafür, dass ich in das postmoderne Deutschland hineingeboren wurde. Gleichzeitig macht mich diese rückständige (oder bewusst verdrehte) Weltanschauung unsagbar wütend.

Nach Gottes Willen sind Mann und Frau verschieden. Unsere Gehirne funktionieren anders. Ihr Frauen könnt unseren Gedanken nicht folgen. Das ist von westlichen Ärzten und Wissenschaftlern nachgewiesen worden. Darum hat für uns die Aussage eines Mannes ebenso viel Gewicht wie die von zwei Frauen.

Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen, S. 337

Wenigstens gibt es ein versöhnliches Ende; grandios gelöst und ohne zu unrealistisch zu sein. Aber es ist auch kein wirkliches Happy End.

Schreibstil

Khaled Hosseini ist wahrlich ein meisterlicher Geschichtenerzähler, daher war ich auch zwischen dem Sog der Handlung und der Härte der Thematik hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich nicht auftauchen aus der Geschichte und andererseits wusste ich, sie würde mich mit Haut und Haaren verschlingen, wenn ich keine Pausen einlege. Insbesondere weil die Sprache schon fast schockierend bildhaft ist. Manche Szenen kommen mir auch Wochen nach der Lektüre noch in den Kopf und ich muss mich regelrecht schütteln, um sie wieder loszuwerden.

Anhang

Am Ende des Buches gibt es ein Interview mit dem Autor. Das ist auch nochmal super informativ.

Fazit

Ein grausam lebensechtes Buch mit Sogwirkung, zwei starken Protagonistinnen und einer schweren Thematik, das trotzdem einen Hoffnungsschimmer in sich trägt und uns (insbesondere westlichen) Lesenden in vielem die Augen öffnet. Die Lektüre ist schmerzhaft und trotzdem möchte ich den Roman allen wärmstens ans Herz legen. Aber lest es nicht allein, denn man hat definitiv Redebedarf!

Bibliografie

Titel: Tausend strahlende Sonnen
Autor: Khaled Hosseini
Übersetzung: Michael Windgassen
Verlag und Copyright: Fischer
Seitenzahl: 400
Erscheinungstermin: 20.02.2014
Preis: 12 € (Taschenbuch)

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