Der gefrorene Himmel von Richard Wagamese

Ich hatte an dieses Buch wohl einfach zu hohe Erwartungen.
Antje Babentererde hatte mich mit „Schneetänzer“ schonmal in die Weiten Kanadas mitgenommen und mir die Kultur der Cree-Indianer näher gebracht. Irgendwie hatte ich angenommen „Der gefrorene Himmel“ von Richard Wagamese geht in die gleiche Richtung. Doch leider erfährt man viel weniger über die Ojibwe-Indianer als ich gehofft hatte, für die Eishockey-Elemente braucht man definitiv etwas Vorwissen und um das Buch richtig zu erfassen, muss man zwischen den Zeilen lesen können.

Klappentext

Saul wächst in einem staatlichen Heim auf – wie so viele Kinder indigener Herkunft. Dem Zwang und der Kälte der Einrichtung kann Saul in den kostbaren Momenten entfliehen, wenn er auf Schlittschuhen über das Eishockeyfeld fliegt. Sein magisches Talent für das Spiel öffnet ihm einen Weg in die Freiheit. Und begleitet Saul auf der Suche nach der Geborgenheit einer Familie, dem kulturellen Erbe der Ojibwe-Indianer und der Versöhnung mit einer Welt, die keinen Platz für ihn vorgesehen hatte.

Meine Meinung zur Handlung

Der Inhalt ist recht schnell erzählt (Achtung Spoiler):

Nachdem Saul von seiner indianischen Familie verlassen wurde, landet er im Waisenhaus. Dort entdeckt er sein Talent und die Liebe zu Eishockey, arbeitet hart und wird schließlich von einer Pflegefamilie mit ähnlicher Biografie aufgenommen. Doch lange hält Sauls Glück nie an; so scheitert seine NFL Karriere bevor sie überhaupt richtig begonnen hat und er wendet sich daraufhin nicht nur von seiner neuen Familie sondern auch vom Eishockey ab. Als Arbeiter zieht er von Ort zu Ort und verfällt schließlich dem Alkohol. Es gibt einen kurzen Lichtblick auf einer Farm, doch die Sucht ist stärker. Erst der Aufenthalt in einer Entzugsklinik macht ihn stark genug, um zurückzukehren: zu seinen Wurzeln und zum Hockey: als Trainer.

Unter dieser offensichtlichen Handlung gibt es einen Subtext, der die schlimmsten Eigenschaften menschlichen Denken und Handelns offenbart. Doch leider schafft es der Autor nicht, ihn freizulegen. Stattdessen erinnert der Anfang an den Aufbau eines Disneyfilms, auf dessen anfängliche Tragödie immer weitere folgen. Ich habe wirklich noch nie eine so deprimierende Geschichte gelesen.

Noch dazu habe ich außergewöhnlich lange gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen und ich glaube es lag an der Sprache. Entsprechend langsam war auch meine Lesegeschwindigkeit…

Charaktere

Auch wenn mir die Figuren ganz gut gefallen haben, die angedachte Komplexität der Charaktere konnte leider nicht transportiert werden.

Ich meine, es wird schon deutlich, mit welcher Brutalität und Kälte damalige Heime ihre christlichen Werte, Traditionen und Sprache andersgläubigen Kindern einverleibt haben. Auch, wie hart und einsam es sein muss, nur auf Herkunft und Äußeres reduziert zu werden – gänzlich der Illusion beraubt, die Liebe zum Spiel könnte vereinen und Hautfarbe, Geschlecht, Religion irrelevant erscheinen lassen. Doch Atmosphäre kommt nicht auf und auch einen Bezug zum Protagonisten konnte ich nicht aufbauen.

Schreibstil

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Saul geschrieben. Das Problem, das ich damit habe ist, wie überheblich dadurch manche Beschreibungen wirken.

Wäre mein Hockeyspiel das einzige Prüfungsfach gewesen, hätte ich mit fliegenden Fahnen bestanden.

Richard Wagamese: Der gefrorene Himmel, S. 178

Außerdem hört es sich nicht nach einem Kind an, was vielleicht aber sogar gewollt ist. Nach dem Motto: seine Umgebung zwang ihn dazu, ganz schnell erwachsen zu werden.

Auch Struktur und Aufbau empfand ich als seltsam. Beispielsweise wird gegen Ende in drei Kurzen Absätzen auf einmal auch noch sexueller Missbrauch ins Spiel gebracht, der zuvor mit keiner Silbe erwähnt und für mich auch nicht zwischen den Zeilen lesbar war.

Keine kulturellen Hintergrundinformationen

Elemente der Geschichte sind scheinbar autobiografisch inspiriert. Umso trauriger fand ich es, nicht mehr über die Ojibwe-Indianer erfahren zu haben; eigentlich lernt man sie nur auf den ersten Seiten etwas kennen. Das Nachwort von Sarkowsky, Professorin für Amerikanistik an der Universität Augsburg, enthält mehr Informationen über die indianische Kultur der Ojibwe als das ganze Buch.

… und viele Eishockey-Fachbegriffe

Um den Sportelementen folgen zu können, sollte man schon wissen, was ein Bully ist und auch die Feldeinteilung vor Augen haben. Ich kenne beim Hockey noch nicht einmal die Regeln, hätte aber gern etwas über dieses Spiel gelernt.

Das Einzige, was dazu nach der Lektüre bei mir hängen geblieben ist: Was für ein brutales Spiel…

Eine Triggerwarnung

gibt es im Buch nicht, obwohl nicht nur zwischen den Zeilen Gewalt, Alkohol- und Drogensucht, ja sogar sexueller Missbrauch Minderjähriger eine Rolle spielen.

Fazit

Angesichts zahlreicher positiver Rezensionen und 5-Sterne Bewertungen hat es mich selbst überrascht, dass mir das Buch nicht gefallen hat. Denn die Grundidee hat in meinen Augen durchaus Potenzial. Doch zu chaotisch die Struktur, zu unausgewogen die Handlungsstränge und zu deprimierend die Geschichte.

Vor allem hat mir der Tiefgang gefehlt. Eine so komplex-kaputte Kindheit mit jeglichen schlechten Erfahrungen, die man sich nur vorstellen kann, lässt sich einfach nicht nur über den Subtext erzählen.

Aber weil er da ist, kann ich das Buch noch nicht einmal jugendlichen Eishockeyfans empfehlen…

Kostenloses Rezensionsexemplar

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Infos

Titel: Der gefrorene Himmel
Autor: Richard Wagamese
Übersetzung: Ingo Herzke
Verlag und Copyright: Blessing
Seitenzahl: 256
Erscheinungsdatum: 01. März 2021
Preis: 22 € (gebunden mit Schutzumschlag)

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