„Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ und „Einladung zum Klassentreffen“ von Martin Schörle

Anfangs war ich etwas skeptisch, als ich gebeten wurde, zwei Theaterstücke zu rezensieren, denn weder habe ich nach Abschluss der Schulzeit ein Theaterstück gelesen noch jemals eines rezensiert. Selbst J.K. Rowlings Werk „Das verwunschene Kind“ habe ich nicht gelesen, da es als Theaterstück verfasst wurde. Dennoch bin ich froh, dass ich mich dazu entschlossen habe, Martin Schörles Stücke zu lesen. Denn ich wurde sowohl vom Inhalt als auch vom Schreibstil positiv überrascht.

Der erste Eindruck des Büchleins war für mich als Coverliebhaberin allerdings etwas ernüchternd: die Schriftart der Titel erinnert an Arial, die Schriftgröße ist für meinen Geschmack zu hoch gewählt und der schraffiert skizzierte Herr Fredenbeck an seinem Schreibtisch, vollständig in gedeckten Farben gehalten, ist selbst für den Beamtenbezug ausgesprochen nüchtern.

Was mich am Innenlayout etwas gestört hat, waren die knappen Seitenränder. Ein kleineres, dafür dickeres Format hätte mir optisch besser gefallen.

Der Sprachstil hat mich hingegen in beiden Stücken so sehr überzeugt, dass ich von jetzt an sicher kein Theaterstück mehr nur aufgrund dieses Stilmerkmals ablehnen werde.

Während „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ als Monolog mit kleineren Regieanweisungen konzipiert ist, entspricht „Einladung zum Klassentreffen“ mehr einem Drehbuch.

Der erste Titel liefert auch schon die perfekte Inhaltsangabe: Es um den Vollblutbeamten Fredenbeck sowie dessen Gedankensprünge zu allem, was einen Diener der öffentlichen Behörden so umtreibt. Also bspw. die Frage, was mit volljährigen Erwachsenen geschieht, die das Pech haben, bei einer Überschwemmung in eine Stadt mit weniger als 50.000 Einwohnern abgetrieben zu werden. Oder die schleichend heranwachsende Idee, wie mittels bürokratischer Prozesse der Irakkrieg hätte verhindert werden können. Darüber hinaus erhalten wir Vorschläge zur vollkommenen Beamtenbefriedigung im Urlaub sowie einen minutiös geplanten Ablauf für eine Annäherungsoffensive.

Seine Beiträge sind gespickt mit mehr oder weniger nützlichen Informationen wie bspw. der gruseligen Tatsache, dass auf unserer Hautoberfläche mehr Lebewesen herumkrabbeln als von uns Menschen auf der Erdoberfläche…

Die beschriebenen Situationen erinnern mich ein bisschen an Loriot. Meine Lachmuskeln hatten jedenfalls ein gehöriges Training. Auch Zitate aus Büchern wie bspw. „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ werden Schmunzelbringend auseinandergenommen.

Fredenbecks Gedanken scheinen manchmal dicht am Wahnsinn und wirken voneinander losgelöst, wie wild zusammengewürfelt. Doch Schlussendlich fügen sich alle Passagen zu einer Kurzgeschichte zusammen, ähnlich Filmen wie „Tatsächlich Liebe“, deren zunächst unabhängig voneinander erzählte Geschichten am Ende doch miteinander verbunden sind und zueinander gehören.

Ich arbeite zwar selbst nicht in einem Amt, wohl aber in einer öffentlichen Institution. Daher war für mich die Lektüre besonders amüsant. Wenngleich bei uns nur die Professor*innen, nicht aber das Verwaltungspersonal verbeamtet sind. Und „AM“ heißt bei uns in der Uni übrigens „Amtliche Mitteilungen“.

Im zweiten Theaterstück wird der Leser direkt in die Geschichte, genauer gesagt ins Telefonat, zwischen „ihr“ und „ihm“, hinein geschmissen. „Sie“ ist in dem Fall „glücklich“ geschieden, da sie Kinder wollte, ihrem Mann aber die Karriere wichtiger war. Jetzt hat „er“ eine Neue und, wen wundert’s, ein Kind. Dies erfährt sie zufällig und ausgerechnet von ihrer Jugendliebe, die nie über sie hinweg gekommen ist und die (angebliche) Organisation des 20jährigen Klassentreffens zum Anlass nimmt, sie zurück zu erobern. Rückblicke, in denen die Rollen „Sie“ und „Er“ teilweise anders besetzt werden, dienen der Erklärung der Hintergründe. Es ist erstaunlich, wie es der Autor auf nur 60 Seiten schafft, die Geschichte von einer gescheiterten Ehe bis hin zu einer alten neuen Liebesgeschichte zu erzählen.

Dabei liest es sich wie eine Momentaufnahme. Wie die Passagiere des ICs, die Zeugen dieses Telefonats werden, ist man unbeteiligter Zuschauer und doch mittendrin. Ich habe es in einem Zug durchgelesen.

Fazit

Zwei Theaterstückchen wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Dennoch haben mir beide gut gefallen. Allerdings sind sie recht kurz, zusammen kommen sie gerade mal auf gut 100 Seiten. Man könnte sie also eher als Appetithäppchen beschreiben.

Eine Aufführung, egal welcher der beiden Stücke, würde ich mir auf jeden Fall ansehen.

Und nie hätte ich gedacht, welch sexuelle Spannung Radiergummies innewohnen.

Vielen Dank an den Autor Martin Schörle für das kostenlose Rezensionsexemplar und die nette Widmung. Selbstverständlich beeinflusst das in keiner Weise meine Bewertung.

Infos

Titel: „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ und „Einladung zum Klassentreffen“

Autor: Martin Schörle

Verlag: Engelsdorfer Verlag

Seitenanzahl: 119

9,50 € (Taschenbuch)

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