Das Buch wurde mir vom literarischen Nerd im Rahmen meines Bücherabos bei der Stephanus Buchhandlung zugeschickt. Seitdem lag es auf meinem SuB, bis wir es für den eat.read.sleep-Lesekreis auswählten. Ich war der Lektüre gegenüber sehr skeptisch, schließlich haben wir gerade erst ganz real eine Pandemie hinter uns gebracht. Außerdem kann ich mit „Zombie“-Dystopien überhaupt nichts anfangen…
Klappentext
Candace Chen arbeitet für einen Verlagsdienstleister am Times Square, zuständig für die Herstellung von Themenbibeln in Asien. So hingebungsvoll folgt sie ihren täglichen Routinen, dass sie erst gar nicht bemerkt, wie tödliche Pilzsporen über New York hereinbrechen, importiert mit billigen Konsumgütern.
Während das Fieber rasant um sich greift, bleibt Candace stoisch auf ihrem Posten. Anfragen wollen geschrieben, Deadlines eingehalten, Arbeitszeiten erfasst werden. Geködert von einem Bonus ihres Arbeitgebers, ist sie bald die letzte in ihrem Büro – und schließlich in ganz New York.
Die beißende Satire auf den modernen Kapitalismus entwirft ein unheimlich vertrautes Schreckensszenario und fragt erbarmungslos, was uns wirklich wichtig ist.
Meine Meinung
Die Handlung springt zwischen der Zeit vor und nach der Pandemie hin und her, so dass es etwas gedauert hat, bis ich in beiden Geschichten drin war.
Die Ich-Erzählerin Candace ist noch relativ neu in ihrem Job. Eigentlich hätte sie lieber etwas mit Kunst gemacht; stattdessen ist sie dafür zuständig, Bibeln in neuem Look auf den Markt zu bringen (also eine Art religiöse Bücherbüchse). Das allein ist schon völlig skurril. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der Roman bereits vor den ersten Anzeichen von Corona veröffentlich wurde, wird es richtig verrückt. Beim Lesen habe ich mich oft gefragt, ob es einen Unterschied gemacht hätte, wenn wir noch keine Pandemie erlebt hätten… Ich glaube ja, weil es dann ein fiktionales Endzeitszenario gewesen wäre, dass ich ohne die Erfahrungen der letzten drei Jahre mit anderen Augen gelesen hätte. Aber jetzt kann ich eben die Authentizität kritischer beurteilen. Wärt ihr ohne Schutzmaßnahmen in ein Haus mit Infizierten eingedrungen? Ich denke, man hätte viel zu große Angst, etwas von den Pilzsporen einzuatmen. Oder glaubt die Truppe um Bob unangreifbar zu sein?
Was mir vor Corona auch nicht aufgefallen wäre, ist, dass die Autorin sowohl mögliche Versuche, Medikamente oder Impfstoffe gegen die Infektion zu entwickeln als auch die Massenpanik, die – angesichts der fortschreitenden Entvölkerung – nur allzu verständlich wäre, gänzlich auslässt.
Aber zurück zur Handlung: Während sich nach und nach alle Mitarbeiter*innen bis hin zur Geschäftsleitung ins Home-Office verabschieden, nimmt Candace das lukrative Angebot an, im Hauptsitz der Firma die Stellung zu halten. Da das Geschäft mittlerer Weile stillsteht, beginnt sie Fotos von verlassenen Gebäuden und Stadtteilen zu machen und unter dem Blogtitel „New York Ghost“ zu veröffentlichen.
Ling Mas Beschreibung von New York als Geisterstadt, in der die Menschen langsam, aber sicher verschwinden, ist hingegen eindringlich und realistisch. Durch ihre bildhafte Sprache habe ich die geschlossenen Museen oder den ausgestorbenen Financial District direkt vor Augen.
Letztendlich begreift Candace, dass sie nicht länger in New York bleiben kann und wird von einer Gruppe Überlebender aufgegabelt (Hier setzt der zweite Handlungsstrang ein). Ebenso wie Candace scheinen sie immun gegen die Pilzinfektion zu sein. Sie gehören zu einer Art religiöser Sekte mit einem recht fanatischen Anführer, der sie in Richtung Chicago zu einer „sicheren“ Anlage bringen will. Sie versucht Anschluss in der ungleichen Gruppe zu finden, was ihr jedoch nicht gelingt. Diese Zeitebene ist eine Art Zombie-Road-Novel und handelt insbesondere vom Überleben und dem sog. „Pirschen“, d.h. sie plündern Privathäuser und „befreien“ (d.h. umbringen) noch lebende Infizierte. Gleichzeitig versuchen sie mit Drogen, ihre Situation erträglicher zu machen.
Die „Zombie“-Komponente ist jedoch nicht ganz stereotyp, denn weder greifen Infizierte andere an, noch Sterben sie an der Krankheit. Stattdessen sind sie dazu verdammt, in einer Endlosschleife banale Tätigkeiten durchzuführen, sodass sie letztendlich verdursten. Demgegenüber stellt die Autorin die skurrile Manie der Protagonistin, sehr lange an ihrer Alltagsroutine festzuhalten, während um sie herum bereits die ganze Welt stillsteht. Damit stellt das Buch die philosophische Frage nach dem Unterschied zwischen Fiebernden und Überlebenden…
Fazit
Ich glaube, vor der Pandemie wäre es ein extrem gutes Buch gewesen. Doch jetzt erzählt es mir einfach nichts Neues und die Geschichte wirkt langweilig. Schade.
Bibliografie
Titel: New York Ghost
Autorin: Ling Ma
Übersetzung: Zoë Beck
Verlag & Copyright: CultureBooks
Seitenzahl: 360
Erscheinungstermin: 23. März 2023
Preis: 23 € (gebunden)