Ferdinand von Schirach beleuchtet in seinem neuen Theaterstück das Thema Sterbehilfe. Der Ethikrat diskutiert dazu den Fall des 78jährigen Richard Gärtner, der trotz körperlicher und geistiger Gesundheit seiner Frau in den Tod folgen will, da das Leben ohne sie für ihn keinen Sinn mehr ergibt. Er bittet daher seine Ärztin um eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital. Dabei stellt sich die Frage, ob dies aus ethischer Perspektive gerechtfertigt wäre.
Denn aus rechtlicher Sicht würde sich die Ärztin nicht strafbar machen
GOTT thematisiert die Frage der ärztlichen Beihilfe zum Suizid vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland. Während die rechtliche Lage in der Bundesrepublik seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 ähnlich liberal ist wie in der Schweiz, gleicht die rechtliche Lage in Österreich im Kern noch jener in Deutschland vor dem Verfassungsgerichtsurteil: Hier wird die ärztliche Beihilfe zum Suizid nach wie vor unter Strafe gestellt.
Ferdinand von Schirach: Gott, S. 155
Schreibstil
Durch die direkte Ansprache der Leser*innen und damit Laien, werden komplexe Argumentationsketten auf einfache Erklärungen heruntergebrochen. So lässt sich das Theaterstück schnell & flüssig lesen. Und wenngleich es ein ernstes Thema behandelt, hat mich das Buch durch die Anlage der Charaktere auch zum Schmunzeln gebracht.
Charaktere
Zu Wort kommen neben einem Mitglied des Ethikrates, Herrn Gärtner selbst, seiner Ärztin und seinem Anwalt noch drei Sachverständige aus den Bereichen Recht, Medizin und Theologie.
Ich fand alle Rollen sehr authentisch.
Interessanterweise nimmt man die Charaktere je nach eigener Meinung sympathisch oder unsymphathisch wahr. So ging es zumindest meinem Mann und mir.
Diskussionsstoff
Wie bereits in seinem Theaterstück „Terror“ von 2016 schließt auch dieses Buch mit einer an uns Leser*innen gestellten Frage.
Wem gehört unser Leben und unser Sterben?
Ferdinand von Schirach: Gott, S. 119
Die Thematik ist natürlich nicht einfach, das Stück wirkt in jedem Fall nach und entfacht kontroverse Diskussionen. Wenn ein Text so etwas schafft, hat das Buch bei mir schon gewonnen.
Aber ich empfehle dringend einen Lesekreis oder Buddyread, denn man hat anschließend definitiv Redebedarf.
Spätestens seit ich „Ein ganzes halbes Jahr“ von Jojo Moyes gelesen habe, kann ich den Wunsch nach Sterbehilfe besser verstehen. Doch habe ich dieses Verständnis auch für einen völlig gesunden Menschen? Das Theaterstück beleuchtet verschiedene Aspekte, über die ich mir bislang noch keinerlei Gedanken gemacht habe.
Ich befasse mich gern mit ethischen Problemen. Ein diesbezügliches Buch ist in meinen Augen dann gelungen, wenn es nicht belehrend oder gar mit erhobenem Zeigefinger daherkommt. Ferdinand von Schirach behandelt die Thematik anhand der gewählten Textform rein beschreibend, Argumente liefernd und Beispiele aufzeigend. Das hat mir sehr gut gefallen, denn dadurch ermöglicht er mir als Leserin ganz ohne Gesichtsverlust den Fall aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Er leistet durchaus einen Beitrag zur Aufklärung und tatsächlich konnte ich jede Sichtweise ein Stück weit nachvollziehen. Außerdem war es einfach interessant, die verschiedenen Meinungen und Standpunkte zu lesen.
Informativ
Durch die gut recherchierten Aussagen der Expert*innen ist das Buch sehr informativ. Insbesondere die Verweise auf religiöse und philosophische Werke fand ich beeindruckend und die Betrachtung aus Theologischer Sicht äußerst interessant.
Zur weiteren Unterfütterung der gewollten anschließenden Diskussion finden sich im Anhang drei wissenschaftliche Beiträge
- aus theologisch-philosophischer Sicht
- aus ethischer Sicht und
- aus juristischer Sicht.
Aufführung
Das Stück wurde bereits verfilmt, derzeit ist es bei Amazon prime streambar (kostenpflichtig). Durch die Wahl der Schauspieler*innen und deren Anlage ihrer Rolle hatte ich jedoch das Gefühl, das die Sendung schon in eine bestimmte Richtung lenken wollte. Bspw. kam mir das Mitglied der Ärztekammer im Buch nicht so unsymphathisch vor.
Fazit
Das Buch ist ein Anstoß, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, und bietet auf wenigen Seiten eine gute Grundlage für weiterführende Diskussionen. In meinen Augen absolut lesens- und damit empfehlenswert.
Kostenloses Rezensionsexemplar
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.
Infos
Titel: Gott
Autor: Ferdinand von Schirach
Verlag und Copyright: Luchterhand
Seitenzahl: 60
Erscheinungsdatum: 14. September 2020
Preis: 18 € (Hardcover)