Ich fand es bislang immer etwas seltsam, wenn ein Buch als wichtig beschrieben wurde. Nach der Lektüre von „Nie nie nie“ verstehe ich es endlich. Und wie die liebe Mareike Fallwickel alias @the_zuckergoscherl zu sagen pflegt: „Könnt ihr bitte alle einfach dieses Buch lesen?“
Klappentext
Linn Strømsborgs Erzählerin ist fünfunddreißig – und hat sich schon vor Jahren dazu entschlossen, keine Kinder zu bekommen. Davon, wie sich ihre Entscheidung auf die Beziehungen zu Freunden, den Eltern und nicht zuletzt dem Partner auswirkt, handelt dieses Buch: Ihr Umfeld hat Schwierigkeiten, ihre Haltung zu akzeptieren, immer wieder wird sie mit dem Thema konfrontiert. Da ist ihr langjähriger Partner Philip, der zunehmend daran zweifelt, ob er mit dem Entschluss seiner Freundin leben kann. Ihre Mutter strickt ohnehin seit Jahr und Tag Babykleidung in der Hoffnung auf ein Enkelkind. Als dann die beste Freundin Anniken Nachwuchs bekommt, verändert sich alles.
Aber kann man wirklich nur mit Kind eine Familie sein? Wieso wird von jeder Frau erwartet, dass sie Mutter werden will? Warum ist es so schwierig, andere Lebensentwürfe zu akzeptieren?
Linn Strømsborg beschäftigt sich mit Fragen, die jede Frau – ob Mutter oder nicht – sich irgendwann stellt. ›Nie, nie, nie‹ ist ein Buch der Stunde, das sich mit Elternschaft und Weiblichkeit auseinandersetzt, und zwar auf direkte, empathische und bewegende Weise.
Sprachstil
„Nie nie nie“ ist mehr eine Erzählung als ein Roman. Es kam mir so vor, als lese ich in einem aufbereiteten Tagebuch. Dabei habe ich bis zum Schluss geglaubt, das Buch sei autobiografisch, so echt hat sich die Geschichte angefühlt.
Etwas ungewöhnlich ist der Aufbau: Jede neue Anekdote beginnt auf einer neuen Seite, auch wenn die vorherige nur eine Zeile lang war.
Charaktere
Dass die Thematik so gut transportiert wird, liegt für mich eindeutig an den unglaublich authentischen Figuren.
Die namenlose Erzählerin weiß genau, was sie nicht will: Kinder. Auch wenn sie dies durch den Druck, der seitens Gesellschaft, Freunde und Familie ihr gegenüber immer wieder aufgebaut wird, schon mal hinterfragt. Sie geht mit dem Thema offen und ehrlich um; macht niemandem etwas vor.
Ich konnte mich unfassbar gut in sie hineinversetzen (und hoffe, dass das nicht nur daran lag, dass ich selbst keine Kinder habe).
Manche ihrer Gedanken, Erfahrungen und Gespräche waren sogar erschreckend nahe an meinen eigenen.
„Aber ich vermisse meine Freunde, die ich früher fast täglich sah, und die jetzt im besten Fall ab und zu in meinem Leben auftauchen.“
Linn Strømsborg: Nie nie nie, S. 43
Was mir an ihrer Figur (und damit am gesamten Buch) besonders gefallen hat, war, dass sie zu keinem Zeitpunkt negativ über Kinder oder Familien mit Kindern äußert. Nie versucht sie ihr Lebensmodell anderen aufzuzwingen (im Gegensatz zu allen anderen…).
Anhand von Philips Charakter wird eine weitere interessante Frage erörtert: Ist Liebe genug? Können zwei Menschen einander genug sein? Was ist, wenn man sich entscheiden muss, zwischen einem Leben mit seiner großen Liebe, dafür aber ohne Kinder oder dem Versuch, eine neue Liebe zu finden, die den Wunsch nach einer Familie teilt – was soll man wählen?
Durch die beste Freundin der Protagonistin wird hingegen verdeutlicht, wie sich Freundschaften verändern können, wenn nur eine „Partei“ Kinder hat. Dabei wechselt Anniken mit zunehmenden Alter nicht nur ihre Meinung und damit die „Seiten“, sie legt auch eine immer deutlicher werdende Intoleranz gegenüber dem kinderlosen Lebensmodell an den Tag. Dabei fand ich insbesondere den Gedankengang interessant, dass die Protagonistin für Anniken nur deshalb so oft „auf Abruf“ da sein kann, weil sie selbst eben keine Kinder hat.
Zu guter Letzt haben wir noch die Mutter der Protagonistin, die todunglücklich darüber ist, dass sie niemals Großmutter werden wird und dies auch bei jeder Gelegenheit zur Sprache bringt. In diesem Zusammenhang wird noch einmal eine ganz andere Erwartungshaltung thematisiert, die einen besonderen Druck auf die Protagonistin ausübt.
Für mich war die Lektüre vor allem eines: persönlich!
Natürlich hat mich das Thema als Kinderlose Mittvierzigerin stark getriggert. Auch wenn ich mich nicht bewusst gegen Kinder entschieden habe. Es hat einfach nicht sein sollen. Allerdings habe ich mich auch nicht der Möglichkeiten moderner Medizin bedient, mittels derer es vielleicht doch noch geklappt hätte.
Ich konnte mich in die Protagonistin also ziemlich gut hineinversetzen, da es leider die wenigstens verstehen, warum man nicht alles Menschenmögliche unternimmt, um Eltern zu werden. Ich vermute mal, dass unsere auf Familie im Sinne von Vater, Mutter, Kind ausgerichtete Gesellschaft einiges dazu beiträgt. Jedenfalls scheint in vielen Augen ein glückliches Leben ohne Kinder unvorstellbar zu sein.
Fazit
Der Roman von Linn Strømsborgs leistet in meinen Augen einen wichtigen Beitrag zur Gleichbehandlung. Und zwar insbesondere von uns Frauen untereinander.
Das Buch zeigt den Leser:innen eine weitere Perspektive auf das Leben und dies auf so authentische Weise, dass ich überzeugt bin, die Lektüre kann mehr Toleranz für verschiedene Lebensmodelle bewirken.
Denn die Botschaft ist klar: Wir alle sind unser eigenen Glückes Schmied und das geht niemanden sonst was an. Ohne Kind ist man weder weniger glücklich noch verweigert man der Gesellschaft einen Beitrag (dieses Argument zieht schon allein deshalb nicht, weil niemand wissen kann, was aus den eigenen Kindern mal wird…).
Irgendwann fragt Aleksander, ob es nicht langsam Zeit wird, dass ich Kinder kriege.
Linn Strømsborg: Nie nie nie, S. 142
„Bitte was?“
„Ist doch eine berechtigte Frage – in deinem Alter.“
Nein, ist es nicht.
Bibliografie
Titel: Nie nie nie
Autorin: Linn Strømsborg
Übersetzung: Stefan Pluschkat
Verlag und Copyright: Dumont
Seitenzahl: 256
Erscheinungsdatum: 12. April 2021
Preis: 20 € (Hardcover)