Offene See von Benjamin Myers

Als dieses Buch für unsere eat.read.sleep Leserunde ausgelost wurde, hat sich zunächst alles in mir gegen die Lektüre gesträubt. Daher beschloss ich, es mit dem Hörbuch zu versuchen, doch nach der Hörprobe hatte ich sogar noch weniger Lust darauf…

Und ich habe mich noch nie so sehr in einem Buch getäuscht, wie in diesem…

Inhaltsangabe des Verlags

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen. In den Gesprächen mit Dulcie wandelt sich sein von den Eltern geprägter Blick auf das Leben. Als Dank für ihre Großzügigkeit bietet er ihr seine Hilfe rund um das Cottage an. Doch als er eine wild wuchernde Hecke stutzen will, um den Blick auf das Meer freizulegen, verbietet sie das barsch. Ebenso ablehnend reagiert sie auf ein Manuskript mit Gedichten, das Robert findet. Gedichte, die Dulcie gewidmet sind, die sie aber auf keinen Fall lesen will.

Meine Meinung

Anfangs hieß es tatsächlich noch „Durchhalten“, denn ich kam sehr schwer in die Geschichte rein. Vor allem die Sprache schien mir einfach nicht richtig zum Inhalt zu passen. Aber nach und nach verlor ich mich in der Poesie des Romans (obwohl ich mit Lyrik normalerweise nicht viel am Hut habe). Und als wir Dulcie begegnen, nimmt sie mich ebenso gefangen wie Robert; mit ihren Kochkünsten, Erzählungen und Lebensweisheiten. Man möchte ihre Geschichte hören, die Geheimnisse ihrer Vergangenheit entdecken und erfahren, was sie zu diesem ungewöhnlichen Charakter hat werden lassen. Denn ihrer Zeit weit voraus, lebt sie so wie sie es will, ohne auf die Meinung anderer zu achten. Und mit ihrer forschen, aber intelligenten Art hilft sie Robert dabei, zu dem Menschen zu werden, der er sein will. Ihre Bekanntschaft und die Zeit in dem kleinen Atelier auf der Wiese verändern ihn. Sie regt ihn zu selbstständigem Denken an und begeistert ihn für Literatur. Doch auch Dulcie wird von Robert beeinflusst. Mit seiner Gesellschaft und klugen, aber bescheidenen Art holt er nicht nur sie unbewusst wieder ins Leben zurück.

Wer fesselnde Abenteuer sucht, ist hier allerdings falsch. Während des ganzen Romans passiert nicht wirklich viel, Robert macht sich auf die Reise, landet bei Dulcie und bleibt dort hängen. Er verrichtet einige Handwerkerarbeiten für sie und erhält Kost und Logi.

Auch an Charakteren bleibt der Roman minimalistisch. Außer Robert, Dulcie und dem Hund Buttlers (den habe ich übrigens sofort ins Herz geschlossen!) gibt es niemanden von Bedeutung. Und obwohl Robert Protagonist dieser Geschichte ist und sie in Ich-Form erzählt, dominiert die alte Dame meine Gedanken zum Buch: Er ist der Erzähler, aber es ist ihre Geschichte.

Ich weiß nicht, ob das bei lyrischen Texten immer so ist, aber ich finde die Sprache so bildhaft, dass die raue Küste Nordenglands wie gemalt vor meinem inneren Auge erscheint (und ich mächtiges Fernweh bekomme).

Hörerlebnis

Manfred Zapatka hat die beiden Figuren mit seiner Stimme so lebendig werden lassen, dass ich immer das Gefühl hatte, Mäuschen zu spielen und alles hautnah mitzuerleben.

Fazit

Dieses Buch ist wirklich ein unerwartetes Highlight.

Ein lyrischer Mix aus Coming of Age Roman und Nature Writing.

Ich kann das Hörbuch uneingeschränkt empfehlen, werde mir aber auch noch die gebundene Ausgabe besorgen, weil „Offene See“ ein Buch ist, dass man ins Regal stellen sollte.

Bibliografie

Titel: OFFENE SEE
Autor: Benjamin Myers
Übersetzung: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Verlag und Copyright: Dumont
Seitenzahl: 270
Erscheinungstermin: 20. März 2020
Preis: 20 € (Hardcover)

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