Ein weiteres Buch für den eat.READ.sleep Lesekreis Göttingen und ich war spät dran. Das hatte vor allem den Nachteil, dass ich etwas Angst vor der Lektüre hatte, denn obwohl ich das Buch aufgrund des Klappentextes oder Covers nie gekauft hätte, waren alle anderen Mitglieder von der Geschichte begeistert…
Klappentext
Die 14-jährige Billie verbringt die meiste Zeit in ihrer Hochhaussiedlung. Am Monatsende reicht das Geld nur für Nudeln mit Ketchup, doch ihre Mutter Marika bringt mit Fantasie und einem großen Herzen Billies Welt zum Leuchten. Dann reist unerwünscht die Großmutter aus Ungarn an, und Billie verliert viel mehr als nur den bunten Alltag mit ihrer Mutter. Als sie Marika keine Fragen mehr stellen kann, fährt Billie im alten Nissan allein los – sie muss den ihr unbekannten Vater finden und herausbekommen, warum sie so oft vom Meer träumt, obwohl sie noch nie da war.
Meine Meinung
Ich war von diesem Romandebüt mindestens ebenso überrascht und begeistert wie von Caroline Wahls „22 Bahnen“.
Und auch hier besticht das Buch durch eine bewegende, aber junge Lebensgeschichte und durch extrem liebevoll gezeichnete Figuren, die zugleich sehr lebensecht wirken. Außerdem gefiel mir die Dynamik zwischen jedem von ihnen.
Geschrieben ist der Roman im Ich-Stil aus Sicht von Erzsébet, die aber von allen – außer ihrer Großmutter – nur Billie (nach einem Song von Miles Davis) genannt wird. Dadurch sind wir ganz dicht an der Protagonistin dran; insbesondere emotional habe ich das Gefühl, alles mit ihr gemeinsam zu erleben und so bin ich glücklich, traurig, wütend, enttäuscht, neugierig, mutig und stolz.
Allerdings kommt sie mir älter vor, insbesondere durch ihre Gedichte und philosophischen Einträge in ihr Notizbuch:
Wenn ich weiterfahre, falle ich vom Rand der Erde. Und das ist in Ordnung.
Elena Fischer: Paradise Garden, S. 243
So redet doch keine 14jährige? Dadurch wirkt der Roadtrip im letzten Drittel des Buches nicht ganz so authentisch. Aber dafür bekommt das Buch in diesem Abschnitt einen richtigen Coming of Age Charakter.
Da wir ihre Mutter Marika auch durch Billies Augen kennen lernen, können wir gar nicht anders, als sie zu lieben. Gilmore Girls Vibes kommen in mir auf und ich beginne, ihr hartes gemeinsames Leben zu romantisieren. Gleichzeitig habe ich wohl noch nie so gekonnt über Armut in Deutschland gelesen. Erst zum Schluss erfahren wir, dass auch Marika ihre Schwächen und Ängste hatte. Trotzdem kann mir das ihre Handlungsweisen leider nicht immer erklären.
Billies Großmutter erinnert mich ein wenig an meine schlesische Oma und ich hätte gern etwas mehr über Billies ungarische Wurzeln und die Lebensverhältnisse dort erfahren. Dass sie Roma sind, kommt mir ebenfalls nicht deutlich genug rüber und falls das Buch diesbezügliche Diskriminierungen ansprechen wollte, ist das an mir vorbei gegangen. Natürlich sehen wir auch ihre Großmutter nur durch Billies Augen, daher ist auch diese Wahrnehmung etwas verzerrt. Aber sobald sie auf der Bildfläche erscheint, steht sofort der Generationenkonflikt im Fokus.
Auch sprachlich hat mir das Buch ungeheuer gut gefallen; es liest sich flüssig und enthält viele schöne Sätze.
Niemals hätte sie eine Sonnenblume abgeschnitten und in eine Vase gestellt. „Gewalt hat viele Gesichter“, sagte meine Mutter, „und Blumen abschneiden ist eins davon.
Elena Fischer, Paradise Garden, S. 29
Fazit
Der Hype ist absolut gerechtfertigt, denn auch mich konnte die Geschichte überzeugen. Also eine ganz klare Leseempfehlung!
Bibliografie
Titel: Paradise Garden
Autorin: Elena Fischer
Verlag & Copyright: Diogenes
Seiten: 352
Erscheinungsdatum: 23. August 2023
Preis: 23 € (Hardcover)