Beinahe Alaska von Arezu Weitholz

Beinahe Alaska war mein erstes Buch für den Göttinger eat.read.sleep Lesekreis. Ich selbst hätte das Buch im Geschäft vermutlich zurück gelassen, denn trotz ansprechendem Titel und Klappentext schreckten mich die ersten Seiten mit ihrer kalten Ehrlichkeit ab. Denn Sie beschreiben in aller Deutlichkeit, was der Roman nicht bieten wird: keine Spannung, nichts Mystisches; nur das normale Leben.

Inhaltsangabe des Verlags

Eine Fotografin, 45, kein Partner, keine Kinder, keine Eltern mehr, geht auf eine Kreuzfahrt von Grönland nach Alaska. Sie ist froh, dass ihr Beruf es ihr erlaubt, immer nach vorn zu sehen. Sie weiß, in der Leere der Arktis kann alles entstehen – und nichts. Natürlich melden sich unterwegs die nicht zu Ende gedachten Gedanken und offenen Fragen. Und es gibt an Bord kein Entkommen vor schrägen und nicht immer angenehmen Mitreisenden. Als das Schiff vor der vereisten Bellotstraße kehrtmachen muss, mit neuem Kurs auf Neufundland, begreift sie nach und nach, dass der Trick manchmal gerade im Beinahe-Ankommen besteht, auf Reisen wie im Leben.

Meine Meinung

Der Roman ist eine Art Reisebericht; eine Aneinanderreihung von Gesprächen und Beobachtungen der Protagonistin an Bord sowie Ihren Eindrücken, Begegnungen und Erlebnissen an Land.

Doch leider bleibt die namenlose Ich-Erzählerin Gesichtslos, ihre Geschichte vage und eigentlich erfahren wir nur, dass es ihr nicht gut geht. Aufgrund des Zitats auf Seite 12 „Mein Kind ist mir nie geschehen“ dachte ich fälschlicher Weise, das Buch würde sich mit dem Thema unerfüllter Kinderwunsch beschäftigen. Über kurze Gedankenfetzen und Einblicke in das Leben der Protagonistin geht es nie hinaus und so finde ich bis zuletzt weder einen richtigen Zugang zu ihr noch zum Roman.

Sprachlich hingegen gibt es nichts auszusetzen. Im Gegenteil: geradezu unpersönlich schreibt die Autorin von Kinderlosigkeit und Alleinsein sowie Pflege und Abschied von den eigenen Eltern. Und in dieser Nüchternheit verbirgt sich fast schon eine poetische Wahrheit:

Wenn man jemanden pflegte, saß man im Zug des Lebens mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Man sah nicht nach vorn, man schaute in die Welt des Abschieds, der Krankheit.

Arezu Weitholz: Beinahe Alaska, S. 36

Auch die raue Atmosphäre des Nordens und die Stimmung sowohl an Bord als auch an Land, fängt die Autorin sehr passend ein: das wunderschöne Farbspiel der Natur ebenso wie die harten Lebensbedingungen dieser unwirtlichen Welt. Ich stehe mit ihr an der Reling; kann den Wind und die Kälte spüren.

Ungewöhnlich ist jedoch dass mich die Bezüge zur Popkultur meiner Kindheit und Jugend nicht begeistern konnten (das feiere ich sonst immer total)…

Meine Vermutung, dass viel Autobiografisches in der Geschichte steckt, lässt das Buch leider unbeantwortet (oft gibt es da noch ein Nachwort, in dem das Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion auflöst).

Etwas seltsam finde ich, wie wertend, fast schon sarkastisch die Protagonistin über die anderen Reisenden spricht oder sich über die Auswirkungen des globalen Tourismus auslässt. So als wäre sie nicht Teil dieser Gruppe, die sich auf einem Kreuzfahrtschiff in die Arktis bringen lässt, um Landschaft, Menschen und Tiere „zu besichtigen“.

Das Buch endet in einem einzigen Konjunktiv „Ich könnte“. Es lässt mich damit so ratlos zurück, dass ich damit nichts anfangen könnte, selbst wenn ich wollte…

Fazit

Am Ende eines Buches frage ich mich immer, was mir die Lektüre gebracht hat; was hängen geblieben ist. In diesem Fall muss ich leider sagen: nicht viel. Das Buch wird daher auch nicht in mein Regal einziehen.

Ich habe mich einfach irgendwann weniger mit der Autorin und ihrer Geschichte beschäftigt, als vielmehr mit der Frage, ob es überhaupt noch legitim ist, sich die Welt ansehen zu wollen und es auch zu tun. Doch vor dem Hintergrund, fremde Kulturen und Menschen kennenzulernen, Vielfalt zu erleben und zu lernen beantworte ich für mich diese Frage mit ja.

Die Meinungen in unserem Lesekreis gingen allerdings teilweise sehr auseinander und gerade dieser Austausch über das Buch hat mir wiederum unglaublich gut gefallen. Von daher entscheidet bitte selbst, ob die Lektüre etwas für euch ist – die ersten Seiten verraten in jedem Fall offen und ehrlich, womit man rechnen darf.

Bibliografie

Titel: Beinahe Alaska
Autorin: Arezu Weitholz
Verlag und Copyright: Goldmann
Seitenzahl: 192
Ersheinungsdatum: 18. April 2022
Preis: 11 € (Taschenbuch)

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