Nachdem mich die Welt aus „Das Buch der gelöschten Wörter – Der erste Federstrich“ so begeistert hatte, konnte ich den Erscheinungstermin des zweiten Bandes „Zwischen den Seiten“ kaum erwarten. Außerdem endete Teil I mit so einem gemeinen Cliffhanger, der andeutete, meine männliche Lieblingsfigur würde zu den bösen gehören! Mein Bauchgefühl war hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich nicht wahrhaben, dass die Autorin diesen Weg eingeschlagen haben könnte, andererseits ging mir das beim Ende von „Weit wie das Meer“ von Nicholas Sparks genauso – und da wurden meine schlimmsten Befürchtungen Realität!
Trilogie
„Das Buch der gelöschten Wörter“ besteht aus folgenden drei Teilen:
- Der erste Federstrich
- Zwischen den Seiten
- Die letzten Zeilen
Alle drei Bände bauen aufeinander auf, so dass ich unbedingt empfehlen würde, die Bücher in der richtigen Reihenfolge zu lesen.
Diese Rezension bezieht sich daher auch nur auf Teil II; ich gehe also nicht erneut auf Weltenaufbau oder altbekannte Charaktere ein. Denn all das findet ihr in meiner Besprechung des Vorgängers.
Handlung
Aufgrund der nur wenige Monate auseinander liegenden Erscheinungstermine gibt es wenig Rückblicke und die Geschichte wird nahtlos fortgesetzt. Ein Glossar hilft erneut bei den Begrifflichkeiten, auch wenn ich es nicht genutzt habe. Den ersten Band habe ich erst vor kurzem gelesen, daher fand ich relativ leicht und schnell wieder in die Geschichte.
Auch wenn ich froh war, dass der Cliffhanger so schnell aufgelöst wurde, erschien mir die Erklärung nicht ganz authentisch.
Hope kämpft weiter an der Seite ihrer Freunde, um die Bücherwelten sowie ihre eigene zu retten. Diesmal machen sie Jagd auf den Anführer der Absorbierer – oder macht er Jagd auf sie? Eins ist jedenfalls klar: er hat weitere Verbündete in Buch- und Echtwelt – aber ich sollte besser sagen „Draußen“. Dieser Aspekt regt glatt zum Philosophieren an: Ist unsere Welt „echter“, nur weil sie nicht von einem Autor geschrieben wurde? Und wer sagt überhaupt, dass es nicht so ist?
Mary E. Garner legt einige falsche Fährten und so bleibt das Buch bis zum Schluss hin spannend. Und natürlich gibt es wieder einen Cliffhanger, der mir jedoch nicht so gemein erschien, wie der im ersten Teil. Im Prinzip habe ich mir diesen Aspekt auch schon gedacht, daher kam er nicht überraschend.
Am ersten Band hat mir besonders das Eintauchen in die Welt der Literaturklassiker gefallen und die Idee, in Bücherwelten zu reisen, begeistert mich weiterhin. Wie gern würde ich mit Sherlock Holmes ein wenig deduzieren (ist das überhaupt die korrekte Ableitung von Deduktion?), mit Animant Crumb über Bücher diskutieren oder mit Miss Marple einen Mord aufklären. Nur vor meinen geliebten Abenteuerromanen hätte ich vermutlich zu großen Respekt…
Charaktere
So viele neue Charaktere tauchen nicht auf.
Wir lernen Amor kennen, Hope’s neuen Wanderer Oliver (nervig, aber knuddelig), Anne von Green Gables und natürlich den Oberschurken der Geschichte. Außerdem erfährt man etwas mehr über Mrs Gateway. Und wo wir schon bei den richtigen Nachnamen sind: Hope’s Mutter Vivien spielt zunehmend eine größere Rolle, was mir gut gefällt.
Aber leider haben sich die bekannten Charaktere nicht wirklich weiterentwickelt und auch ihre Verhaltensweisen erschienen mir nicht immer schlüssig.
In Bezug auf die Protagonistin, würde ich mir wünschen, dass sie nicht alle Probleme und Rätsel im Alleingang löst, insbesondere da ihre Erfolge i.d.R. auf Glück, Zufall und Tollpatschigkeit zu beruhen scheinen.
Außerdem war ich geradezu schockiert, dass Hope schon 42 Jahre alt sein soll. Vor allem im Hinblick auf ihre Schwärmerei für Kenan, den Bruder ihres Wanderers, wirkt sie auf mich maximal wie Anfang 20.
Unabhängige Buchfiguren
Die Grundidee, dass Figuren aus ihren Handlungen heraustreten können, hat mir im ersten Band noch gefallen. Hier jedoch wird das Konzept etwas überreizt. Ich habe die Artussage nie gelesen, aber im Film „Der letzte Ritter“ mochte ich sowohl Artus als auch Lancelot sooo gern. Die Vorstellung, dass Guinevere und Lancelot nicht bis ans Ende ihrer Tage zusammen glücklich sind, bricht mir fast das Herz. Und bei Robin und Marian das Gleiche? Schluchz. Erleiden alle großen Liebespaare der Literaturgeschichte dieses Schicksal? Gibt es also nicht einmal mehr in der Bücherwelt die einzig wahre Liebe, die ewig hält? Also alles nur noch Buchabschnittsgefährten?
Für mich werden die Originalgeschichten dadurch irgendwie beschädigt. Das ist genauso wie Episode VIII der Star Wars Saga: Wären sie einfach bei einer Trilogie geblieben, lebten Han und Leia in meiner Fantasie fortan glücklich und zufrieden…
O.k. vielleicht steigere ich mich da jetzt ein klein Wenig hinein. Ich darf einfach nicht länger darüber nachdenken.
Setting
Diesmal bedient sich Mary E. Garner vorwiegend Geschichten, die ich aus dem Kino oder Fernsehen kenne (könnt ihr euch noch an die bezaubernde Zeichentrickverfilmung „Anne mit den roten Haaren“ erinnern?), nicht aber aus Büchern. Wenngleich die Schauplätze wieder wunderschön und bildhaft gezeichnet wurden, hätte ich mir etwas mehr Bücherwelten als wirkliches Setting gewünscht. Irgendwie sprang der Funke der gewählten Klassiker nicht über.
Schreibstil
Der Sprachstil überzeugt mich aber weiterhin: flüssig, atmosphärisch und bildreich.
Cover
Die Cover sind ein Traum, die Bücher erscheinen sehr wertig und haben eine gute Größe. Im Bücherregal sehen sie toll zusammen aus!
Fazit
Die ehrliche Antwort ist: Ich WOLLTE dieses Buch toll finden, weil mich die Idee so begeistert. Aber bei näherer Betrachtung wirken die Charaktere nicht mehr ganz so authentisch, die gewählten Buchwelten entfalten irgendwie nicht den erwarteten Zauber und Handlung sowie Dramaturgie fehlt es an Ausgewogenheit. Trotzdem hat mich das Buch gut unterhalten. Es ist ein gelungener, wenngleich klassischer Mittelband. Die Welt ist nicht mehr neu und das primäre Ziel besteht darin, den Showdown des Abschlussbandes vorzubereiten.
„Zwischen den Seiten“ ist eine Fantasy-Agentengeschichte, ohne die üblichen Oger, Orcs und Magier, sondern mit Buchfiguren aller möglichen Genres. Dazu gibt es etwas Abenteuer, Liebe und moderate Intrigen. Und aus diesem Grund könnte ich mir vorstellen, dass dieser Dreiteiler auch für Menschen geeignet ist, die es sonst nicht so mit Fantasygeschichten haben, aber auf Bücher stehen.
Was mir gut gefällt, ist, dass die Bände der Trilogie kurz hintereinander erscheinen, sodass man nicht ein ganzes Jahr auf die Fortsetzungen warten muss. Band III erscheint übrigens am 28. August 2020. Darin liegt dann auch meine ganze Hoffnung.
Kostenloses Leserundenexemplar
Das Buch wurde mir im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies beeinträchtigt in keiner Weise meine Bewertung.
Infos
Titel: Das Buch der gelöschten Wörter – Zwischen den Seiten
Autorin Mary E. Garner
Verlag und Copyright: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 414
Erscheinungstermin: 29. Juni 2020
Preis: 14 € (Paperback)