Die Familie meiner Mutter stammt aus Schlesien. Sie war vier, als sie aus ihrem Heimatort vertrieben wurden. Leider sind meine Großeltern gestorben, bevor das Interesse an meiner Familiengeschichte erwachte und so freue ich mich immer über gut recherchierte Bücher zu diesem Thema. Und irgendwie hatte ich schon nach der Leseprobe das Gefühl, mit dem Pakt der Frauen von Julia Kröhn einen ganz besonderen Schatz entdeckt zu haben.
Klappentext
Wien 1976. Die junge Dozentin Katharina Adler sorgt bei den männlichen Kollegen regelmäßig für Schnappatmung. Selbstbewusst trägt sie knalligen Lippenstift und verbotenerweise im Hörsaal Hosen. Außerdem hat sie sich kein geringeres Ziel gesetzt, als die Geschichtswissenschaft zu revolutionieren. Dafür widmet sie sich Büchern, die von Frauen geschrieben wurden, speziell Kochbüchern. Als ihr dabei eine Rezeptsammlung aus der Feder ihrer Mutter Jule unterkommt, erkennt Katharina, dass sie erst die Geheimnisse ihrer eigenen Familie aufdecken muss, bevor sie die Welt verändern kann. Gemeinsam reisen sie und Jule nach Schlesien, an Katharinas Geburtsort. Dort lernt sie, dass es nichts Stärkeres gibt als Frauen, die zusammenhalten.
Meine Meinung
Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll, denn dieser Roman hat seinen Leser*innen auf so vielen Ebenen etwas zu geben, dass es mir schwerfällt, meine Begeisterung in Worte zu fassen.
Beginnen wir mit dem Plot, der mich sowohl mit der Historie Schlesiens als auch der Ungleichbehandlung im Wissenschaftsbetrieb überzeugen konnte. Es gibt zwei Zeitebenen, die sich nach und nach zu einer Geschichte verbinden. Zum einen begleiten wir Katharinas Mutter Jule in die Arbeitslager Niederschlesiens, wo sie sich als Köchin anstellen ließ, um den Frauen dort im Rahmen ihrer Möglichkeiten wenigstens etwas unter die Arme zu greifen. Wir erfahren also einiges über das Lagerleben der „Ostarbeiterinnen“. Jule möchte ihnen etwas von ihrem Heimweh nehmen und so sammelt sie Rezepte aus deren jeweiligen Heimat. Durch die Gerichte mit den schlesischen, tschechischen, polnischen, ungarischen oder ukrainischen Namen schafft die Autorin eine ganz besondere Atmosphäre, die sich bis in den Handlungsstrang 1976 zieht, in dem Katharina ihrerseits darum kämpft, als Wissenschaftlerin ernst genommen zu werden und dabei unverhofft über ein von ihrer Mutter verfasstes Kochbuch stolpert. Eher aus einer Laune heraus hatte Katharina eine Übung angekündigt, in der sie mit ihren Studierenden anhand von Kochbüchern Rückschlüsse auf die Frauengeschichte ziehen will, weil diese ja vorwiegend von Frauen verfasst wurden. Und das fand ich stilistisch unglaublich gelungen. Außerdem hält der Schluss noch einen kleinen überraschenden Twist für uns bereit, der das Buch so richtig gut abrundet.
Man könnte „Der Pakt der Frauen“ auch als Mutter-Tochter-Geschichte bezeichnen, denn als Katharina für Jule alles stehen und liegen lässt, um mit ihr nach Polen zu reisen, beginnt sie sowohl sich selbst als auch ihre Mutter besser zu verstehen und so verbinden sich nicht nur beide Handlungsstränge mit jedem neuen Kapitel ein Stück mehr, auch die beiden Protagonistinnen nähern sich immer mehr an. In jedem Fall habe ich Mutter und Tochter noch nie so gut in zwei Figuren wiedererkennen können. Damit sind wir bei den Charakteren angekommen, die allesamt fantastisch gezeichnet sind: Mit Katharina kann ich mich sofort identifizieren, obwohl sie ja zeitlich eher meiner Mutter entsprechen würde. Bei Jule muss man erstmal in ihre Geschichte eintauchen, um sich wirklich ein Bild von ihrer Person machen zu können. Allen Figuren gemein ist die sehr lebensechte Darstellung ihrer Charaktere und Verhaltensweisen.
Auch das Setting ist in beiden Handlungssträngen extrem authentisch dargestellt, also sowohl der Wissenschaftsbetrieb als auch die Situation in Schlesien kurz vor dem Einmarsch der roten Armee. Dadurch habe ich wieder ein Stück Frauengeschichte mehr erfahren und das mit einer Leichtigkeit, die bei so einer Thematik bei Weitem keine Selbstverständlichkeit ist. Noch dazu nehmen die beiden Handlungsebenen und das verbindende Element der Rezepte dem Buch die Schwere und gleichzeitig lässt mich der Zusammenhalt der Frauen mit einem zuversichtlichen und vertrauensvollen Gefühl zurück.
In den Anmerkungen am Ende des Buches erläutert die Autorin übrigens, dass viele Elemente des Romans auf ihrer eigenen Familiengeschichte und wissenschaftlichen Erfahrungen beruhen. Dass alles Weitere ausführlich recherchiert wurde, hätte sie nicht extra betonen müssen, denn das spürt man auf jeder Seite. Normalerweise schätze ich bei einem solchen Mix immer eine anschließende Aufklärung darüber, was der Realität und was der Fiktion der Autorin entsprang, aber Julia Kröhn erläutert so logisch, warum sie das gerade nicht gemacht hat, dass ich es tatsächlich nicht vermisse:
An dieser Stelle könnte ich Dichtung und Wahrheit sorgfältig voneinander trennen, doch weil beides dermaßen verbunden ist – manchmal beginnt ein Satz mit einer wahren Begebenheit und endet mit Erfundenem –, wäre das ähnlich sinnlos, als wollte man einen fertigen Kuchen wieder in Mehl, Zucker und Eier zerlegen.
Julia Kröhn: Der Pakt der Frauen, S. 349
Fazit
Nicht nur für Leser*innen mit schlesischem Hintergrund ein großartiger Roman, der die Wichtigkeit weiblicher Netzwerke und des Zusammenhalts von Frauen untereinander betont, egal ob 1945, 1976 oder heute.
Kostenloses Rezensionsexemplar
Ich habe dieses Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt bekommen. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.
Bibliografie
Titel: Der Pakt der Frauen
Autorin: Julia Kröhn
Verlag & Copyright: Heyne
Seitenzahl: 352
Erscheinungsdatum: 20. März 2024
Preis: 22 € (Hardcover)