Die Bildhauerin von Pia Rosenberger

Habt ihr schon mal von Camille Claudel gehört? Nein? Was ist mit Auguste Rodin? Ja? Da habt ihr’s.
Der Aufbauverlag ist für mich mittlerer Weile zur besten Adresse für Romanografien starker Frauen im Zwiespalt von Kunst und Liebe geworden. Ich finde es einfach großartig auf so unterhaltsame Weise Frauen der Zeitgeschichte kennen zu lernen. „Die Bildhauerin“ von Pia Rosenberger steht meinem bisherigen Lieblingsroman „Frida Kahlo und die Farben des Lebens“ in nichts nach.

Klappentext

Paris, 1881. Die siebzehnjährige Camille Claudel weiß schon früh, was sie will: Bildhauerin werden. Doch als Frau bleibt ihr ein Studium an der École des Beaux-Arts verschlossen. Gemeinsam mit drei Freundinnen mietet sie ein Atelier und stürzt sich in ein Leben der Bohème. Schon bald erregt sie mit ihren Plastiken die Aufmerksamkeit des viel älteren Auguste Rodins. Dieser protegiert und unterrichtet sie, Camille wird zu seiner unentbehrlichen Mitarbeiterin – und schließlich auch zu seiner Geliebten. Doch sie wünscht sich mehr, als nur eine seiner Musen zu sein.

Meine Meinung zu Handlung und Charakteren

Im Wesentlichen geht es um die unabhängige talentierte Bildhauerin Camille Claudel, die für ihre Kunst lebt und mit der Hilfe ihres Vaters versucht, in dieser Männerdomaine Fuß zu fassen. Und das zu einer Zeit, in der das einzig erstrebenswerte Ziel für Frauen darin gesehen wird, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Als sie Rodin begegnet, beginnt auch er sie zu fördern (und zu fordern) und über Kurz oder Lang endet es in einer toxischen Liebesbeziehung.

Für Rodin – Künstler und Mann in Reinform ­­– ist Camille alles gleichzeitig und dann auch wieder nicht. Er sieht in ihr eine ebenbürtige Künstlerin, die Schülerin, die über den Lehrer hinauswächst, sie ist seine Muse und sein Modell, auch glaubt er, sie zu lieben. Gleichzeitig stellt er seine Kunst über alles, ist nicht willens, seine langjährige Lebensgefährtin zu verlassen oder gar auf Affairen zu verzichten. Ohne viel über den damaligen Künstler zu wissen, erscheint mir Pia Rosenbergers Figur als ausgesprochen authentisch.

Ein Zitat scheint mir Rodin besonders gut zu treffen:

Rodin war ein Menschenfresser, der seine Modelle im Namen der Kunst abnagte und ihre Knochen nach getaner Arbeit ausspuckte und hinter sich warf.

Pia Rosenberger: Die Bildhauerin, S. 297

Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Denn Camille scheint keine weitere Kerbe im Bettpfosten des Künstlers zu sein, nur der Zerstreuung und Lusterfüllung dienend. Ohne sie geht es ihm schlecht, er braucht nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Verstand, ihre Seele.

Gleiches gilt für Camille. Was ich nie verstehen werde, ist, wie unsere Vorgängerinnen tolerieren konnten, wie Männer sich ihnen gegenüber in Bezug auf Treue und Verantwortung verhielten. Ich kann nachvollziehen, dass es schwierig ist, sich von einem Mann zu trennen, von dem man ggf. beruflich abhängig ist, aber diese Toxizität scheint wirklich Suchtverhalten zu gleichen.

Besonders gut herausgearbeitet finde ich den künstlerischen Aspekt der Beziehung. In folgendem Dialog zwischen Camille und einem Freund bringt die Autorin außerdem hervorragend auf dem Punkt, in welcher Situation sich talentierte Frauen zur damaligen Zeit befanden.

Meine Arbeiten stehen seinem Stil nahe. Er ist mein Lehrer.“ „Das mag ja sein (…) aber andersherum ist es ebenfalls richtig. Seine neuesten Werke sind von deinen ausdrucksstarken Arbeiten inspiriert.“ (…) „Aber da er so überragend erfolgreich ist, werden alle immer seinen Einfluss bei dir suchen, aber nie deinen bei ihm. Außerdem gehörst du dem falschen Geschlecht an, was es dir nicht leichter macht.“

Pia Rosenberger: Die Bildhauerin, S. 348 f.

Alle weiteren Charaktere sind weder herausragend noch unscheinbar, sondern entsprechend ihrer Rolle für die Entwicklung der Handlung ausgearbeitet.

Einzig das Ende erscheint mir nicht ganz stimmig. Während in den vorherigen Kapiteln einzelne Begegnungen und Stimmungen ausführlich beschrieben werden, bleibt der Schluss knapp und offen.

Sprachstil

Ich habe den Roman in wenigen Stunden weggesuchtet. Er liest sich unglaublich flüssig und leicht.

Die Atmosphäre von Paris und insbesondere dem Marmordepot sowie dem Atelier wurde ganz zauberhaft transportiert. Zeitweilig war mir, als hätte ich beim Lesen Gipsstaub in den Haaren…

Lehrreich

Ich liebe es, wenn mir ein Buch etwas beibringt; sei es Geschichte, Kunst oder Wissenschaft. Pia Rosenberger lässt in die Erzählung um Camille Claudel zahlreiche Informationen zu künstlerischen Werken, Materialien und Machart einfließen.

Schade finde ich jedoch, dass es kein Nachwort gibt, welches uns über das Verhältnis von Fakten und Fiktion aufklärt. Der Roman wirkt gut recherchiert; wie viel Wahres die Geschichte um die junge Bildhauerin enthält, wird jedoch nicht gesagt.

Ich hätte mir ein abschließendes Kapitel schon allein daher gewünscht, weil ich gern erfahren hätte, ob Camille und Rodin bis an ihr Lebensende in ihrem Arrangement gelebt und gearbeitet haben. Hat er sie überlebt oder sie ihn, gab es also ein Leben nach Rodin?

Fazit

Eine starke Frau mit einer interessanten Geschichte, eingefangen in einem wunderbaren Buch. Ich habe wirklich jede Zeile genossen. Ob trotz oder gerade wegen ihrer toxischen Beziehung zu Auguste Rodin bin ich mir nicht sicher…

Da ich von Camille Claudel noch nie etwas gehört hatte, in Bildhauerei nicht sonderlich bewandert bin und beim Namen Auguste Rodin nur ganz entfernt in meinem Hirn etwas klingelte, hatte ich keine besonders großen Erwartungen an diesen Roman. Aber selbst wenn ich welche gehabt hätte, wären sie weit übertroffen worden.

kostenloses Rezensionsexemplar

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar von Vorablesen.de zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Infos

Titel: Die Bildhauerin

Autorin: Pia Rosenberger

Verlag und Copyright: Aufbau Verlag

Seitenzahl: 352

Erscheinungsdatum: 12. April 2021

Preis: 12,99 € (Klappenbroschur)

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