Die Zeit des Lichts von Whitney Scharer

Der empathische Sprachstil ist hervorragend: sehr bildhaft, das Kopfkino läuft ununterbrochen. Allerdings identifiziere ich mich nicht so stark mit der Hauptfigur, allgemein bleibt eine gewisse Distanz zu den Charakteren. So habe ich den Auszug aus Lee Millers Lebensgeschichte mit Interesse verfolgt, ohne mich aber – wie in vielen anderen Romanen – vollends mit ihr zu identifizieren.

Dabei sind die Charaktere exzellent ausgearbeitet: Man Ray, in seiner Brillanz als Künstler und gleichzeitig besitzergreifender, eifersüchtiger Liebhaber. Ebenso gut gelungen ist es der Autorin, Lee als komplizierte Frau darzustellen, gleichzeitig perfekt mit Schönheit und Talent gesegnet aber aufgrund vieler Fehler auch wiederum so unperfekt.

Den Ein- und Ausstieg des Buches bildet ihre Zeit mit Roland Penrose Mitte/Ende der 60er Jahre. Ich vermute es dient dazu vorweg zu nehmen, dass Lee Millers Leben so tragisch gewesen war, dass sie es später nur mit Alkohol ertragen konnte. Allerdings habe ich vergeblich auf eine Erklärung für diesen Absturz gewartet.

Die Hauptgeschichte spielt sich 1929/1930 ab, in der Bohème von Paris. Das ehemalige Fotomodell Lee Miller kommt ganz allein in die französische Hauptstadt, begegnet dem berühmten Fotografen Man Ray und zwingt sich ihm als Assistentin auf. Nach einiger Zeit verlieben sie sich ineinander. Die bis dahin immer sehr freiheitsliebende Lee, gibt ihr eigenes Leben Stück für Stück auf. Und Man unterdrückt sie, er reduziert sie auf ihr Äußeres sobald ihr Talent ihm gefährlich zu werden droht. Er sieht sich an der Spitze, alles an ihr gehört ihm, auch ihre Kreativität. Nach seiner Logik sind ihre Werke seine Werke.

Whitny Scharer: Die Zeit des Lichts, S. 317

Natürlich muss man die Behandlung Lees durch Man Ray im historischen Zusammenhang sehen, jedoch bekomme ich immer wieder eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass diese Zeiten längst nicht so lange her sind, wie man meint.

Aber auch Lees Charakter wird mir im Verlauf der Geschichte immer unsympathischer. Sie geht ja anscheinend später eine Ehe mit Roland Penrose ein, obwohl sie ihn augenscheinlich nicht liebt.

Das Ende ließ mich dann doch recht nachdenklich zurück. Wie weit würde man für die Liebe gehen: Bis zur Selbstaufgabe? Ist das wirklich noch Liebe? Aber lest doch bitte selbst. Könnt ihr ihre Zweifel nachvollziehen?

Es hat keinen Sinn etwas zu lieben, wenn es einem am Ende sowieso wieder genommen wird.

Lee Miller in Whitney Scharer: Die Zeit des Lichts, S. 338

Also diesem Zitat möchte ich doch vehement widersprechen!

Zwischendurch werden immer wieder kurze Szenen aus Lee Millers Zeit als Kriegsjournalistin eingestreut. Hier ist der Klappentext etwas missverständlich, suggeriert er doch eine ausführliche Beschreibung dieser Phase ihres Lebens.

Klappentext Whitney Scharer, Die Zeit des Lichts, Klett-Cotta Verlag 2019

Auch wenn mich die Geschichte um Lee und Man in den Bann gezogen hat, so dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte, plätschert sie auch irgendwie so dahin. Wirklich passieren tut da nicht viel.

Aber ich fand es unglaublich toll, wieviel man über die damalige analoge Fotografie erfährt. Insbesondere die Szenen in der Dunkelkammer waren wunderbar bildhaft beschrieben. Sehr beeindruckend fand ich auch die Darstellung ihrer Kriegsbilder, bspw. das in Hitlers Badewanne.

Das Buch orientiert sich an der Biografie von Lee Miller. Ich kannte vor dieser Lektüre weder sie noch Man Ray. Daher fand ich es etwas schade, dass ich nicht erkennen konnte, was auf Fakten beruht und was der Fantasie der Autorin entsprang. Bspw. würde man einer 22jährigen, die allein ihre Heimat verlässt, um auf einem anderen Kontinent Fuß zu fassen, viele Männergeschichten hat, doch eher zuschreiben, unabhängig, stark und freiheitsliebend als unterwürfig, naiv und unselbstständig zu sein, oder?

In jedem Fall lädt das Buch zu Recherchen über Man Ray und insbesondere Lee Miller ein und ich musste mich damit wirklich zurückhalten, bis ich zu Ende gelesen hatte, aus Angst mich selbst zu spoilern.

Ebenfalls macht der Roman Lust auf Paris, Kunst und Fotografie.

Fazit:

„Ich würde lieber ein Bild machen, als eines zu sein.“ Dieses Zitat fasst das Buch und vermutlich auch die wahre Lee Miller exzellent zusammen.

Ich bin mit dem Genre Biografischer Roman noch nicht so vertraut, aber ich hätte mir etwas mehr als den Auszug aus Lee Millers Zeit mit Man Ray gewünscht. Insbesondere hätte ich gern mehr über ihre Zeit als Kriegsreporterin erfahren. Mich hätte dabei sowohl die künstlerische Perspektive ihrer Kriegsfotografie interessiert, als auch, was diese schrecklichen Erfahrungen aus ihr gemacht haben und ob sie je vom Alkohol weggekommen ist. Jedoch hätte dies vermutlich den Rahmen eines Buches gesprengt und vielleicht gibt es ja mal einen weiteren Band über diesen Abschnitt ihres Lebens.

Was bleibt, ist ein Roman über eine toxische Liebesbeziehung, die auf wahren Personen beruht und deren Charaktere exzellent herausgearbeitet wurden. Die Analyse dieser Beziehung im Rahmen der Leserunde hat mir wirklich großen Spaß gemacht.

Außerdem gibt er einen Einblick in die von Männern dominierte Kunstszene der damaligen Zeit.

Wer jedoch eine Biografie von Lee Miller erwartet, der wird enttäuscht sein.

Zitate

Dieses Buch war ein wahrer Fundschatz in Sachen Zitate. Seite um Seite entdeckte ich wunderbare Zeilen, die mich zum Nachdenken anregten oder die ich einfach unglaublich treffend fand. Einige habe ich bereits weiter oben angeführt.

Dabei gibt es zwei sehr philosophische Zitate, die meiner Meinung nach das Wesen der Kunstform Fotografie ganz ausgezeichnet erfassen und die ich euch daher nicht vorenthalten möchte:

Ich will damit sagen, wenn ich mir ein Bild von dir ansehe, will ich mich genauso gut fühlen wie in dem Moment, als ich es aufgenommen habe. Fotografie kann Wirklichkeit einfangen, aber wie kann sie Gefühle einfangen? Machen nicht erst die Gefühle die Wirklichkeit wirklich?

Man Ray in Whitney Scharer: Die Zeit des Lichts, S. 163

Wenn sie ein Foto macht, entscheidet sie sich für einen einzelnen Moment in einem Strom tausender potentieller Momente, und diese Auswahl, die Entscheidung, ihn aus seinem Kontext zu entfernen, ist Teil der Kunst.

Über Lee Miller in Whitney Scharer, Die Zeit des Lichts, S. 257

Um alle anderen zu entdecken, müsst ihr das Buch aber schon selbst lesen…

Kostenloses Leserundenexemplar

Das Buch wurde mir im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies beeinträchtigt in keiner Weise meine Bewertung.

Infos

Titel: Die Zeit des Lichts

Autorin: Whitney Scharer

Verlag und Copyright: Klett-Cotta

Seitenzahl: 392

Erscheinungsdatum: 26. Oktober 2019

Preis: 22 € (gebunden)

Beitrag erstellt 338

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben