Handbuch für Zeitreisende von Kathrin Passig und Aleks Scholz

Was ich seit Ausbruch der Pandemie am meisten vermisse, ist das Reisen. Da ist es doch ganz praktisch, ein Büchermensch zu sein. Denn wenn es in der realen Welt nicht mehr geht, mache ich es eben literarisch – dann aber bitte gleich richtig. Sprich: Es geht nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit. Allerdings sind Routenplanung und Vorbereitung bei mehreren Millionen Jahren Erdgeschichte natürlich nicht so einfach: Bach live in Concert (ohne Fiebertest, Mundschutz und vor allem Klingeltöne), untergegangene Kulturen und Städte oder doch lieber noch mal das beste Waldmeistereis aus Kindheitstagen? Damit die Wahl nicht zur Qual wird, gibt uns Kathrin Passings und Aleks Scholz „Handbuch für Zeitreisende“ wertvolle Tipps und Tricks im kuriosesten Reiseführer, den mein Bücherregal je gesehen hat.

Inhaltsangabe des Verlags

Wollten Sie schon immer mal nachsehen, warum die Dinosaurier ausgestorben sind – und dabei möglichst selbst am Leben bleiben? Von England nach Dänemark laufen, ohne nasse Füße zu bekommen? Miterleben, wie Stonehenge erbaut wird? – Mit diesem Reiseführer kann nichts mehr schiefgehen: Kathrin Passig und Aleks Scholz vermitteln alles, was Zeitreisende wissen müssen. Was Sie bei den Volksfesten der Maya erwartet, wogegen Sie sich vor der Reise in die Renaissance impfen lassen und welche Kleidung Sie für die Weichsel-Eiszeit einpacken sollten, all das erklärt Ihnen dieses Handbuch. Mehr noch: Es verrät Ihnen die schönsten Zielorte und -zeiten, nützliches Wissen über Parallelwelten und ihre Besonderheiten, Umgangsformen für jede Epoche, praktische Tipps für mehrere Weltteile und das gesamte All. Und wenn Sie im Urlaub nicht nur an den Traumstränden der Vergangenheit herumliegen, sondern die Welt verbessern möchten, erfahren Sie hier, was dafür zu tun wäre. Schon jetzt der nützlichste Reiseführer aller Zeiten!

Aufbau

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Nach einer kurzen Einführung in das Thema, geben die Autor:innen Anregungen für Reiseziele und -zeiten, bevor sie dann etwas genauer auf das Konstrukt von Zeitreisen eingehen und abschließend praktische Informationen für Zeitreisende zusammengetragen haben.

Meine Meinung

Ich gebe zu, der Einstieg hat mich etwas schockiert, denn von der gequantelten allgemeinen Relativitätstheorie hatte ich noch nie zuvor gehört.  Aber wozu arbeitet man schließlich in der Fakultät für Physik… Spaß beiseite, auch ohne ein entsprechendes Studium lässt sich das Buch gut lesen.

Der Schreibstil ist flüssig, aber man sollte sich genügend Zeit und Ruhe einplanen (insbesondere wenn man in Geschichte so schlecht aufgepasst hat wie ich). Die historischen Lektionen sind informativ und hätten für meinen Geschmack gern noch etwas tiefer gehen können.

Teil I: Die Destinationen

Obwohl ich die Expo 2000 geliebt habe, hören sich die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts leider etwas unspektakulär an. Die würde ich mir also sparen.

Als nächstes gibt es einige Tipps für Wochenendtrips. Die finde ich schon spannender, vor allem kann man so die Sache erstmal ausprobieren und hängt nicht gleich mehrere Wochen irgendwo fest, wo man eigentlich direkt wieder weg möchte.

Ich habe die DDR noch miterlebt, daher erscheint mir ein Ausflug in den kommunistischen Versuch deutscher Geschichte wenig aussichtsreich.

Das nächste Kapitel begibt sich auf die Spuren großer Wissenschaftler:innen und das ist natürlich voll meins! Vor allem natürlich, weil auch eine Zeitreiseempfehlung in meine Wahlheimat Göttingen dabei ist. Und da haben wir natürlich zahlreiche Möglichkeiten. Empfohlen wird das Jahr 1930, in die Zeit der Mathematikerin Emmy Noether. Bei uns gibt es Stiftungsprofessuren, die ihren Namen tragen.

Auch wenn ich begeisterte Midgard-Spielerin bin (Fantasy Rollenspiel in einer magischen Welt des irdischen angelehnten Mittelalters), bin ich mir nicht sicher, ob ich dahin würde reisen wollen. Kathrin Passig und Aleks Scholz stellen uns Island vor; ein Land, das natürlich immer einen Besuch wert ist, aber ich denke, dahin fahre ich lieber in der Gegenwart.

Spannend wäre selbstverständlich auch der Besuch eines Konzerts der großen Komponisten vergangener Zeiten.

Das Pleistozän lasse ich definitiv aus, ebenso wie die Dinos (ich meine, habt ihr Jurassic Park gesehen?). Warum man sich Kriege anschauen möchte, erschließt sich mir auch nicht so ganz (na gut vielleicht würde ich mir die Schlacht an den Thermopylen anschauen – literarisch hatte ich das aber schon bei Dr. Maxwell) und Endzeitszenarien waren schon bei Loki eine blöde Idee. Wobei: die Wanderung über erkaltete Lava, während sie zwei Meter tiefer noch unter Dir her fließt, auf der Suche nach einem oberflächlichen Lavastrom, war ein echtes „Once in a Lifetime“ Erlebnis. Ein knappes Jahr später kam ein großer Ausbruch und hat viel Natur vernichtet, die wir kurz vorher noch besichtigt hatten… Big Island empfehle ich daher im Herbst 2017.

Teil II: Die Zeit verändern?

Während der Lektüre stellt sich zwangsläufig die Frage, ob nach der Einführung kommerzieller Zeitreisen nicht alle ins Jahr 2010 auswandern würden, um sich mit Bitcoins auszustatten, abzuwarten und reich zu werden. Oder hätte man Wuhan warnen können? Putins Angriffskrieg der Ukraine verhindern? Der Mittelteil des Buches beschäftigt sich mit all diesen Fragen – leider mit einem nüchternen Ergebnis.

Besonders erschreckend sind natürlich wieder die Einblicke in das Bild der Frau damaliger Zeiten:

Weil beim Mann das Hervortreten von Samenflüssigkeit meistens mit einem Orgasmus verbunden ist, gehen Galen und Aristoteles davon aus, dass bei der Frau Fortpflanzung und Orgasmus auf die gleiche Art zusammengehören und deshalb aus einer Vergewaltigung keine Schwangerschaft entstehen kann. Wird eine vergewaltigte Frau trotzdem schwanger, erkennt man daran, dass sie in Wirklichkeit einverstanden war.

Kathrin Passig/Aleks Scholz: Handbuch für Zeitreisende, S. 229

In vielen Zeiten und Ländern herrscht der Glaube vor, dass Frauen durch die Menstruation körperlich so stark beeinträchtigt sind, dass sie zum Beispiel keine politischen Ämter ausüben können.

Kathrin Passig/Aleks Scholz: Handbuch für Zeitreisende, S. 235

Noch bis 1970 folgte man dem amerikanischen Kinderarzt Béla Schick, der im Blut menstruierender Frauen einen Stoff entdeckt zu haben, der Blumen bei Berührung verwelken lässt.

Kathrin Passig/Aleks Scholz: Handbuch für Zeitreisende, vgl. S. 235

Teil III: Praktische Reiseinformationen

Den Schlussteil mit nützlichen Tipps und Tricks rund ums Zeitreisen fand ich nochmal richtig interessant. Aber auch etwas gruselig – bspw. dass Covid-19 fast genau 100 Jahre nach der Spanischen Grippe wütet…

Fazit

Das „Handbuch für Zeitreisende“ ist ein äußerst interessantes Buch mit einem ungewöhnlichem Ansatz, den Leser:innen ein bisschen Geschichte beizubringen. Meine Quintessenz: Für Frauen der Nord-Westlichen Welt war die Zukunft bislang immer besser als die Vergangenheit…

Auswandern würde ich weder räumlich noch zeitlich. Aber zurück in die Vergangenheit reisen, um mit Sokrates zu plaudern, die Boheme zu erleben oder den Orient in seinen Blütezeiten zu sehen, stelle ich mir ganz spannend vor.

Bibliografie

Titel: Handbuch für Zeitreisende
Autoren: Kathrin Passig, Aleks Scholz
Verlag und Copyright: Rowohlt Berlin
Seitenzahl: 336
Erscheinungstermin: 19. Mai 2020
Preis: 20€ (Hardcover)

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