Sanctuary von Paola Mendoza und Abby Sher

Zugegeben, ich hatte bei „Sanctuary“ eine Dystopie mit Technologiebezug erwartet, stattdessen erhielt ich eine Herzzerreißende und abenteuerliche Flüchtlingsgeschichte. Auch wenn alle Merkmale dieser Kategorie erfüllt sind, ist der Roman für mich keine Dystopie im klassischen Sinne, aber da die Grundidee auf einer wirklich existierenden Problematik basiert, erwartet uns hier eine erschreckend realitätsnahe Zukunftsvision.

Handlung

Als illegale Einwander:innen müssen Vali und ihre Familie permanent um ihre Sicherheit fürchten. Um die USA vor unrechtmäßige Immigranten zu schützen, wird den legalen Amerikaner:innen ein Identitätschip eingesetzt, dessen Vorhandensein und Korrektheit immer schärfer kontrolliert wird. Als ihr Vater entdeckt und deportiert wird, flieht Vali mit ihrem Bruder und ihrer Mutter aus Vermont. Ihr Ziel: Kalifornien, der einzige Bundestaat, der sie nicht verfolgen würde. Doch auf dem Weg nach New York wird auch ihre Mutter geschnappt und so sind Vali und Ernie auf sich selbst gestellt.

Meine Meinung

Da ich etwas anderes erwartet habe, schwingt natürlich ein wenig Enttäuschung mit. Vor allem hätte ich mir mehr „Rebellion“ gewünscht, insbesondere bei dem Cover. In der Geschichte wird in einem Nebensatz erwähnt, das Vali und ihre Freundin Kenna sehr schlau sind. Ich hatte also vermutet, dass die beiden mithilfe Ihrer Intelligenz und Technologie gegen das System vorgehen (einen Virus programmieren o.ä.).

Doch so, wie der Plot angelegt ist, wird es im Mittelteil leider etwas langweilig, ähnlich wie die Zeltstationen im siebten Harry Potter.

Eine meiner Mitleser:innen hat die Geschichte als Überlebensroman bezeichnet und ich finde, das trifft es ziemlich genau, denn wir erleben Seite um Seite eigentlich nur mit, wie die Figuren nach und nach vom System gebrochen werden. Die Charaktere nehmen alles hin und unterwerfen sich mit ihrer Flucht indirekt.

Außerdem hätte ich eine Karte auf der Klappendeckelinnenseite toll gefunden, die die Route der Geschwister aufzeigt.

Schockierend realitätsnah

Dennoch hat mich das Buch sehr zum Nachdenken gebracht und meine (Luxus-)Probleme wieder in Relation gesetzt. Mir bewusst zu machen, dass ich zu einem Teil der Menschheit gehöre, der inmitten einer weltweiten Pandemie noch relativ bequem sein Leben lebt, während der andere Teil ums nackte Überleben kämpft, ist schon irgendwie gruselig. Und wie es ist, in Angst um sein Leben und das seiner Familie zu leben, hat uns Covid-19 jetzt allen gezeigt.

Diese vollkommen verschiedenen Lebensumstände bringt das Buch vor allem in einer Busszene auf abstruse Weise zum Ausdruck, denn während Vali und Ernie halb verhungert in ihren Sitzen kauern und darum beten, nicht entdeckt und deportiert zu werden, fahren zeitgleich ganz normale Teenager mit entsprechend banalen Problemen mit.

Im Nachwort erklären die Autorinnen, dass die Idee zum Roman nach Amtsantritt von Präsident Trump und seiner Forderung nach einer Mauer zu Mexiko entstanden ist. Ich denke, dies bildete auch die Grundlage für die Geschichte, wodurch sie so erschreckend realitätsnah erscheint.

Sprachstil

Ich habe das Buch in wenigen Stunden durchgelesen. Die Dialoge wechseln oft ins Spanische ohne übersetzt zu werden. Mich hat es nicht gestört, da meine Sprachkenntnisse ausreichten, um fast alles zu verstehen (oder mir zumindest zusammenzureimen), aber ich könnte mir vorstellen, dass es den Lesefluss beeinträchtigt, wenn man gar nichts versteht.

Ich fand diesen Kniff sehr gelungen, denn es schuf eine Atmosphäre, die mich jederzeit daran erinnerte, woher die Hauptfiguren kamen.

Die Bezüge zu Mittel- und Südamerika fand ich ebenfalls sehr schön.

Charaktere

Die Figuren sind allesamt sehr schön und authentisch gezeichnet. Die Protagonistin Vali beeindruckt ungemein, übernimmt sie doch in kürzester Zeit gezwungenermaßen die Erwachsenenrolle für ihren 8jährigen Bruder. Und auch mit Ernie kann man nur mitfühlen, wie sich diese Erfahrung wohl auf seine weitere Entwicklung auswirken wird?

Etwas schade fand ich jedoch, dass offen bleibt, was mit einigen der Figuren geschieht.

Fazit

„Sanctuary“ ist eine abenteuerliche Reise quer durch die USA auf der Suche nach Sicherheit und Freiheit.

Insbesondere vor dem Hintergrund, seine eigene Privilegiertheit zu erkennen, sehr empfehlenswert für die Zielgruppe 15-25. Älteren Leseratten wie mir würde ich stattdessen eher „Die Hungrigen und die Satten“ von Timur Vermes oder „In der Ferne“ von Hernan Diaz empfehlen.

kostenloses Rezensionsexemplar

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar von Lovelybooks zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Infos

Titel: Sanctuary
Autorinnen: Paola Mendoza und Abby Sher
Übersetzung: Stefanie Frieda Lemke
Verlag und Copyright: Carlsen
Seitenzahl: 352
Erscheinungsdatum: 29. Juli 2021
Preis: 15 € (Klappenbroschur)

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