Und alle so still von Mareike Fallwickl

Mareike Fallwickl arbeitet in ihren feministischen Romanen immer mit sehr spannenden gesellschaftskritischen Gedankenexperimenten. Und die Idee, dass alle Frauen auf einmal sämtliche Aktivitäten einstellen und streiken, klang super interessant.

Klappentext

An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Meine Meinung

Da mir „Die Wut, die bleibt“ so unglaublich gut gefallen hat, waren die Erwartungen extrem hoch – vielleicht konnten sie nur enttäuscht werden.

Wir werden direkt in die Geschichte reingeworfen, aber daran lag es gar nicht, dass ich nur schwer ins Buch reingekommen bin. Vielmehr hatte ich Probleme mit der rotzigen Sprache, dem Männerbild und leider auch ganz allgemein mit dem sehr konstruierten Inhalt des Romans.

Wie der Klappentext andeutet, möchte die Autorin anhand ihrer drei Protagonist*innen zeigen, was passiert, wenn Frauen aufhören würden, sich zu kümmern. Mareike Fallwickl rückt also erneut die Care-Arbeit in den Fokus und verbindet dies damit, dass in Care-Berufen, die ein hohes emotionales Verpflichtungsgefühl gegenüber der Tätigkeit hervorrufen, überwiegend Frauen tätig sind. Exzellent recherchiert hält uns die Autorin dafür beispielhaft die katastrophalen Bedingungen in Krankenhäusern vor Augen und greift mit der Figur des Nuri auch die Ausbeutung im Niedriglohnsektor mit auf. Doch leider wird die Geschichte nicht zu Ende erzählt.

Die Figuren bleiben mir fremd, ich kann mich mit keiner so richtig identifizieren. Allerdings stehen sie auch eher stellvertretend für verschiedene Personengruppen.

Doch was mich am meisten gestört hat, war die konsequente Schwarz-Weiß-Zeichnung. Männer scheinen ganz allgemein der Feind zu sein.

Wie die Politik auf die „Arbeitsniederlegung“ der Frauen reagiert, erschien mir unrealistisch; der Schluss ist mir – wie die Figur der Lola in „Die Wut die bleibt“ – zu radikal.

Lesung

Wer aber die Chance auf einen Live-Auftritt der Autorin erhält, sollte sie unbedingt wahrnehmen. Es ist auch weniger eine Lesung als vielmehr eine Aufklärung. Zwischen den Textpassagen haut uns Mareike Fallwickl immer wieder Zahlen, Daten und Fakten um die Ohren, sodass ich mir gewünscht hätte, es wären mehr Männer im Publikum gewesen. Die Thematik halte ich nämlich unabhängig von meiner Meinung zum Buch für extrem wichtig.

Lesekreis

„Und alle so still“ eignet sich definitiv super für einen Lesekreis. Vielleicht nicht unbedingt für eine Besprechung des Buches an sich, sondern vielmehr, um über seine Thematik zu diskutieren. Wir landeten bspw. sofort bei der Frage, ob wir bei einem solchen Streik mitmachen würden. Und die Antwort ist gar nicht so einfach, denn ausbaden müssten es ja unsere Familien, Freund*innen, Kolleg*innen, Patient*innen, Schüler*innen und Studierende – und zack, schon waren wir wieder mitten im Problem…

Zitate

Dass sich gut über den Roman diskutieren kann, zeigen auch die zahlreichen Textpassagen, die zum Nachdenken anregen, wie bspw.:

Mehr als die Tätigkeit selbst stört es Ruth heute, dass ihr Beruf darauf reduziert wird. Das bisschen Arschabwischen, sgen die Leute und tun so, als wäre es das Einzige, was ihren Job ausmacht: Körperflüssigkeiten wegputzen, abkratzen, ausschütten. Und sogar darin steckt mehr als alle denken sie ahnen nicht, dass Ruth wahrnimmt, wenn Urin bierbraun oder orange ist, was bedeuten kann, das Bilirubin ausgeschieden wird und etwas mit der Leber oder der Galle nicht stimmt, dass sie sieht, wenn Blut im Stuhl ist und ob es frisch ist oder schwarz, was einen Unterschied macht, weil Teerstuhl auf eine Blutung im Magen hinweisen kann, eine grünliche Färbung dagegen auf Bakterien.

Mareike Fallwickl: Und alle so still, S. 148

„Das Patriarchat kann sich darauf verlassen, wann immer irgendwo ein Kind oder eine alte Person umfällt, kommt eine Frau und hebt es auf“, sagt Barbara.

Mareike Fallwickl: Und alle so still, S. 176

„Wir wollen nicht mehr um unsere Rechte kämpfen“, sagt die Nächste, „denn wie furchtbar ist das? Dass wir grundsätzlich rechtelos sind, außer wir wenden unfassbar viel Energie und Zeit auf, um ein Zipfelchen Gleichberechtigung zu erwischen, das sie uns bei der nächsten Gelegenheit wieder wegnehmen. Wir sind zerschlagen. Wir geben auf.“

Mareike Fallwickl: Und alle so still, S. 124

Fazit

Mir gefällt, dass sich Mareike Fallwickl mit unbequemen Themen auseinandersetzt und uns einen Spiegel vorhält. Die Umsetzung ist ihr bei dieser Geschichte aber leider nicht gelungen.

Bibliografie

Titel: Und alle so still
Autorin: Mareike Fallwickl
Verlag & Copyright: Rowohlt
Seitenzahl: 368
Erscheinungstermin: 16.04.2024
Preis: 23 € (Hardcover)

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