Zu lieben von Ulrike Draesner

Bei diesem Roman hat mich das Thema angesprochen, denn natürlich beschäftigt man sich als ungewollt kinderlose Frau zwangsläufig irgendwann auch mit einer Auslandsadoption. Ich bin damals diesen Weg nicht gegangen und fand es daher umso spannender, davon zu lesen.

Klappentext

Mit einem Flug nach Sri Lanka, wo ein Kind auf seine zukünftigen Eltern wartet, beginnt in Ulrike Draesners persönlichstem Buch eine Reise ins Ungewisse. Sie handelt von Ängsten, Zärtlichkeit, von Identitäten zwischen den Kontinenten, von Missverständnissen und Gefahr. Wie wird man eine Familie? Was bedeutet Elternschaft in einer Gesellschaft im Umbruch, in der immer mehr Kinder in ungewohnten Familienkonstellationen aufwachsen? Unkalkulierbar der Prozess. Groß die Überraschungen, unbedingt notwendig der Humor. Was empfindet wohl Mary, das dreijährige Mädchen, das die Welt wechseln muss? Was geschieht mit dem Paar? Und wie findet man sich, ist der Rückflug erst einmal geschafft, als bunte Familie im Deutschland der weißen Menschen zurecht?

Meine Meinung

All jenen, die selbst von dem Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ betroffen sind, möchte ich eine kurze Triggerwarnung aussprechen, denn dann wird die Lektüre sehr persönlich. Evtl. kommen Erinnerungen hoch, evtl. werden Entscheidungen in Fragen gestellt und evtl. sah euer Ende anders aus. Obwohl die Figuren dieses Romans frei erfunden sein sollen, scheint das Buch auch für Ulrike Draesner sehr persönlich zu sein, denn ich glaube nicht, dass sie sonst so authentisch darüber hätte schreiben können. Ich kann mich sofort mit der Protagonistin identifizieren. Mit ihrer Geschichte umreißt die Autorin den gesamten Prozess einer Auslandsadoption mit allen dazu gehörigen Irrungen, Wirrungen und Konsequenzen. Sie stellt sich Fragen wie: Ist es ethisch überhaupt in Ordnung, ein Kind aus einem „armen“ Land zu adoptieren? Oder beutet man damit die Menschen dort aus? Was ist besser für das Kind, bei der leiblichen Mutter zu bleiben, die wegen des Kindes aus dem Dorf verstoßen wurde oder weit weg in einer anderen Familie, aber dafür in Wohlstand aufzuwachsen? Und was, wenn einen das Kind gar nicht mag? Was bedeutet eine Auslandsadoption für die Beziehung? Schon eine leibliche Elternschaft strapaziert selbst die liebevollste Partnerschaft. Wie ist das Kind bisher aufgewachsen, was ist es gewöhnt? Noch komplizierter wird es, wenn weder Adoptiveltern noch -kind die Sprache des jeweilig anderen sprechen. Und welche finanziellen und juristischen Hürden gibt es? Wird sich das Kind irgendwann nach seiner wahren Heimat und Familie sehnen? Und als wäre das nicht schon genug, muss sich die neu gefundene Familie ggf. auch noch mit Rassismus auseinandersetzen, weil sie so offensichtlich optisch nicht zusammengehören.

All das behandelt die Autorin einfühlsam, nachvollziehbar und fast schon poetisch.

Ich war eine traurige Frau. Von außen sah man es mir nicht an, oder meistens nicht oder nur, wenn man mich gut, sehr gut kannte. Ich war eine unfruchtbare Frau. Der Verdacht stand im Raum wie ein in Stein gehauener Abraham Lincoln.

Ulrike Draesner: Zu lieben, S. 31

Die Welt der Heimkinder bestand ausschließlich aus den Dingen und Menschen, die aus der Welt zu ihnen kamen.
Sie waren zur Welt gekommen, gewiss, doch der Ausdruck stimmte nicht.
Ihr Zur-Welt-Kommen war, kaum hatte es begonnen, eingefroren worden.

Ulrike Draesner: Zu lieben, S. 151

Diese eingestreuten künstlerischen Elemente haben mich allerdings eher gestört.

Ich musste das Buch auch immer mal wieder zur Seite legen, um das Gelesene zu verarbeiten, aber alles in allem ließ es sich gut lesen. Die Sprache ist bildhaft, wenngleich auch manchmal etwas umständlich, aber sie passt immer zur Thematik.

Da ich vermute, dass das Buch einen autobiografischen Hintergrund hat, ist es verständlich, dass der Fokus auf der Protagonistin liegt und ihr Mann Hunter eher blass bleibt. Trotzdem ist das ein kleiner Kritikpunkt, denn ich hätte ergänzend auch gern noch die männliche Sichtweise kennengelernt. Wollte Hunter wirklich genauso sehr ein Kind wie sie? Wie geht er mit der Trennung um? Dass sich die beiden Scheiden lassen werden, erfahren wir relativ früh. Und ich glaube, ich hätte über diesen Prozess auch gern noch etwas gelesen.

Fazit

Mich hat Ulrike Draesner mit dieser offenen und ehrlichen Geschichte sehr berührt und ich möchte das Buch insbesondere Menschen ans Herz legen, die nicht von einem unerfüllten Kinderwunsch betroffen sind. Wenn man das nicht erlebt hat, wird man den Schmerz nie nachfühlen können, aber dieses Buch kann helfen, die Situation betroffener Menschen besser nachzuvollziehen, sich rücksichtsvoll und empathisch zu verhalten und für sie da zu sein. Gleichzeitig zeigt es auf, was Auslandsadoptionen bedeuten – und zwar für die verschiedensten Beteiligten.  

Kostenloses Rezensionsexemplar

Ich habe dieses Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt bekommen. Dies beeinflusst in keiner Weise meine Meinung.

Bibliografie

Titel: Zu lieben
Autorin: Ulrike Draesner
Verlag & Copyright: Penguin
Seitenzahl: 352
Erscheinungstermin: 11.09.2024
Preis: 24 € (Hardcover)

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