Ihr wisst, ich bin ein Ali Hazelwood Fan der ersten Stunde. Jedes ihrer Bücher habe ich inhaliert. In ihrem neuesten Roman geht es um eine theoretische Physikerin und einen Experimentalphysiker. Und da ich an der Uni in einer physikalischen Fakultät arbeite…
Klappentext
Liebe ist wie Physik – die Theorie mag noch so schön sein, auf die Praxis kommt es an
Wissenschaftlerin Elsie lebt im Multiversum: Als Theoretische Physikerin quasi unbezahlt, verdient sie ihr Geld als Fake-Date-Begleitung. Bis ihre Parallelwelten kollidieren: Ausgerechnet der nervig attraktive Jack – der sie als Freundin seines Bruders und Bibliothekarin kennt – muss entscheiden, ob sie ihren Traumjob bekommt. Dazu führt er als kaltherziger Experimentalphysiker eine üble Fehde gegen die Theoretische Physik. So findet sich Elsie auf einem Wissenschaftsschlachtfeld wieder – und muss sich dagegen wehren, in Jacks Gravitationsfeld gezogen zu werden. Oder sollten etwa ganz neue Theorien über die Liebe in die Praxis umgesetzt werden?
Meine Meinung
In „Love, theoretically“ beschäftigt sich Ali Hazelwood mit Hochschulpolitik, akademischen Auswahlprozessen sowie Vertrauens- bzw. Abhängigkeitsverhältnissen zu Doktorvätern und wie stark dies noch immer von toxischer Männlichkeit durchzogen ist.
Mittels ihrer (wieder einmal Detailverliebt und absolut lebensecht gezeichneten) Figuren widmet sie sich außerdem der Thematik wissenschaftlicher Konkurrenzkämpfe und mir gefiel vor allem, welche Botschaft uns die Autorin über ihre weiblichen Charaktere vermittelt: Haltet zusammen und unterstützt euch gegenseitig, es gibt noch genügend männliche Traditionalisten, die uns das Leben schwer machen.
Elsie hat etwas mehr Ecken und Kanten als ich das von Hazelwoods bisherigen Protagonistinnen gewohnt bin. Sie ist mir nicht gleich sympathisch, dafür waren mir ihr ExPhy-Bashing am Anfang und auch die ewigen Selbstzweifel etwas Over the Top.
Die Charaktere bringen dieses Mal nicht ganz so heftige Hintergrundgeschichten mit. In Elsies Fall geht es um Diabetes, worüber die Autorin auch das amerikanische Gesundheitssystem kritisiert.
Der Trope ist wie immer Enemies to Lovers und im Gegensatz zu Elsie gefällt mir Jack von Anfang an gut – auch wenn mein Herz für immer Adam gehören wird! By the way: Ich habe den Cameo-Auftritt von ihm und Olive („Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe“) geliebt!
Das dramatische Element ist ebenfalls geschickt gemacht und zu meiner Erleichterung kurz und gut aushaltbar. Zum Schluss gibt es in der Handlung sogar noch einen Twist, den ich so nicht vermutet hätte (aber unglaublich raffiniert war).
Doch dass ich 390 Seiten auf den ersten Kuss warten musste, ist eigentlich unverzeihlich…
Ali Hazelwood ist selbst Naturwissenschaftlerin (Neurobiologin) und man merkt dem Buch deutlich an, wie eingehend sie sich mit der Materie beschäftigt hat. In Bezug auf die physikalische Thematik vielleicht einen Hauch zu sehr, denn uns werden zu Beginn zahlreiche Fachbegriffe um die Ohren gehauen (oder besser vor die Augen geknallt).
Ich möchte nichts weiter, als meine Tage mit dem Lösen hydrodynamischer Gleichungen verbringen, um in Ruhe das bei trocken-aktiven Flüssigkristallen auf makroskopischer Ebene beobachtbare raumzeitliche Chaos berechnen zu können.
Ali Hazelwood: Love, theoretically, S. 66
Das war selbst mir ein klein wenig zu viel, dabei habe ich tagtäglich mit Physiker*innen zu tun. Ich könnte mir daher vorstellen, dass dies Leser*innen außerhalb des akademischen Bereichs noch stärker empfinden; bitte haltet durch, es verliert sich wirklich mit den Kapiteln.
Was ich aber grandios fand, war der Bezug, den die Autorin zwischen einem physikalischen Konzept und ihrer Protagonistin herstellt und damit das Grundmodell von Elsies Charakter beschreibt.
(…) dass das Licht – je nachdem, wie man es betrachtete – zwei Dinge auf einmal sei: sowohl Teilchen als auch eine Welle.
Ali Hazelwood: Love, theoretically, S. 9
(…) und es brachte mich auf die Idee, ob nicht auch in mir zwei – nein, vielleicht sogar eine ganze Vielzahl von Elsies stecken könnten.
Außerdem trägt Ali Hazelwoods Hintergrund stark dazu bei, wie authentisch ihre Plots und Charaktere rüberkommen.
Das und ihr humorvoller Schreibstil sind zwei der zahlreichen Gründe, warum ich ihre Bücher immer direkt nach Erscheinungstermin inhaliere.
Wer also Passagen wie die folgenden für überzogen oder unrealistisch hält: „Welcome to my world!“
Mrs. Hannaway,
Ali Hazelwood: Love, theoretically, S. 137
was soll das heißen, es ist Ihnen gesetzlich verboten, mit mir über die Noten meines Sohnes zu diskutieren? Ich bezahle seine Studiengebühren. Ich verlange zu erfahren, ob er sich gut macht. Ihr Verhalten ist absolut inakzeptabel.
Diese, für Außenstehende sicher skurril erscheinende, Emails lockern den Text ungeheuer auf.
Zwei Tage später ruft Jack mich im Büro an, aber ich bin gerade damit beschäftigt, einer meiner Studentinnen höheren Semesters zu erklären, dass sie, wenn sie schon ein ganzen Absatz von Wikipedia direkt in ihre Arbeit hineinkopiert, zumindest die eingebetteten Hyperlinks entfernen muss.
Ali Hazelwood: Love, theoretically, S. 482
Fazit
Ein unterhaltsamer Liebesroman mit starken weiblichen Charakteren aus der Welt der Wissenschaft und einem subtilen Tiefgang, der die Augen öffnet und empowert. Absolut lesenswert!
Bibliografie
Titel: Love, theoretically
Autorin: Ali Hazelwood
Übersetzung: Christine und Anna Julia Strüh
Verlag & Copyright: Rütten & Loening
Seitenzahl: 537
Erscheinungsdatum: 19. Juni 2023
Preis: 18 € (Klappenbroschur)